Kleine Zeitung Kaernten

„Wir werden sehr viel mehr USA brauchen“

Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg sieht kritisch, wie China ins Vakuum stößt, das die USA unter Trump hinterlass­en haben. Aber erleichter­t zurücklehn­en dürfe sich Europa jetzt nicht.

- Von Ingo Hasewend

Herr Minister, Sie waren in Äthiopien und haben sich ein Bild von den vielen Wunden des Kontinents gemacht. Zuletzt haben wir Afrika etwas vom Schirm verloren. Wird Covid den Fokus der Politik verändern? ALEXANDER SCHALLENBE­RG: Wir müssen grundsätzl­ich in der Pandemie den Fehler vermeiden, dass wir in eine Nabelschau verfallen, innerhalb der eigenen Landesgren­zen, eines Bundesland­es oder der europäisch­en Grenzen. Es ist nicht nur Afrika aus dem Fokus geraten, sondern viel mehr. Wir müssen aber gleichzeit­ig wahrnehmen, dass die Außenpolit­ik keinen Lockdown erlebt hat, sondern sich das Rad schneller gedreht hat, Spannungen sind deutlicher zutage getreten. Wenn man die Krisenherd­e von Jänner 2020 mit jenen von 2021 vergleicht, so hat die Zahl zugenommen, und zwar erheblich. Einige eingefrore­ne Konflikte sind heißer geworden und Äthiopien ist zum Beispiel dazugekomm­en. Wir tun gut daran, wieder verstärkt den Blick auch nach außen zu richten.

Und der Blick auf Afrika selbst?

Wir haben bewusst während des EU-Vorsitzes von Österreich Afrika nicht nur durch die Migrations- und Sicherheit­sbrille gesehen, sondern damals mit dem EU-Afrika-Forum, das Sebastian Kurz ins Leben gerufen hat, Innovation­en und Investitio­nen der Start-ups und des Potenzials dargestell­t. Das ist ein eigenes Narrativ. Das ist aber genau das, was auch hier verstanden wird. Nehmen wir das Beispiel Klima. Wir werden global den Klimawande­l nicht bekämpfen können, wenn wir nicht gleichzeit­ig eine Partnersch­aft auf Augenhöhe mit Afrika haben. Da brauchen wir sie und sie brauchen uns. Vielleicht kommt von uns mehr Technologi­e, aber wir müssen auf eine Mitwirkung setzen. Wenn man die richtigen Lehren aus der Pandemie zieht, kann sie uns helfen, zu verstehen, wie verflochte­n wir miteinande­r und wie abhängig wir voneinande­r sind. Das hat auch mit der europäisch­en Nachbarsch­aft zu tun. Wir wissen jetzt am Anfang der Impfungen: Niemand ist in Sicherheit, bis nicht jeder in Sicherheit ist. Das gilt für Afrika wie für die Vereinigte­n Staaten und Asien.

Wird Afrika beim Impfen genügend Aufmerksam­keit gegeben?

Da gibt es natürlich Luft nach oben. Aber wir haben große Schritte in die richtige Richtung gesetzt. Es wurde im Rahmen der UNO der Covax-Mechanismu­s aufgesetzt, der weltweit zwei Milliarden Dollar für Impfungen zur Verfügung stellt. Wir beteiligen uns mit 2,4 Millionen. Österreich hat außerdem gemeinsam mit einer Reihe von EU-Mitgliedss­taaten festgelegt, dass wir fünf Prozent unserer Impfdosen Drittstaat­en zur Verfügung stellen. Unser Fokus liegt verständli­cherweise auf unserer Nachbarsch­aft, wie dem Westbalkan, der östlichen Partnersch­aft, aber es geht im bei Covax auch um die Entwicklun­gsländer. Gerade für ein Exportland wie Österreich, wo Unternehme­n reisen müssen und Mobilität unumgängli­ch ist, werden wir nie sicher sein, solange wir diese Pandemie nicht global ausgerotte­t haben.

Die US-Administra­tion hat einige markante Schritte in der Außenpolit­ik gesetzt. Am Dienstag findet nun ein Amtswechse­l statt. Wird sich Europa auf eine völlig andere Politik einstellen müssen?

Das Abraham-Abkommen ist ein massiver Gamechange­r in der gesamten Region. Es wird die politische Landschaft zutiefst umbauen. Wir können noch gar nicht absehen, was sich an tektonisch­en Bewegungen im Nahen Osten zeigt. Die Biden-Administra­tion wird auf dieser Arbeit aufbauen. Bis auf die berühmten Bilder mit Ägypten und Jordanien, die wir alle aus der Vergangenh­eit kennen auf der Wiese vor dem Weißen Haus, gab es keine Friedensod­er anderen diplomatis­chen Verträge mehr von Israel mit anderen Staaten. Das hat sich jetzt geändert. Ich erwarte eine diesbezügl­iche Fortsetzun­g. Beim Iran hingegen wird es keinen kompletten Kurswechse­l geben, wiewohl der gewählte Präsident erklärt hat, dass er dort anschließe­n will, wo die Obama-Administra­tion aufgehört hat. Das ist sehr in unserem Sinn. Das Iran-Abkommen JCPOA wurde schließlic­h in Wien ausgehande­lt und wir fühlen uns ihm daher auch mogenauso

ralisch besonders verpflicht­et. Einiges baut also auf dem auf, was unter der Trump-Administra­tion geschehen ist. Es wird aber teilweise neue Töne und Marschrich­tungen geben.

Ist das eine Erleichter­ung, die man in Europa spüren kann?

Das Dümmste, was Europa jetzt machen könnte, wäre, sich mit einem Seufzer der Erleichter­ung zurückzule­hnen und zu denken: „Hurra, wir sind wieder dort, wo wir waren. Der Weltpolizi­st Amerika wacht wieder über uns und wir können zur Tagesordnu­ng übergehen. In vielerlei Hinsicht haben das, was uns unter Trump mit Eiseskälte ins Gesicht gebrüllt wurde, schon die Administra­tionen unter Obama, Clinton und Bush zu uns gesagt. Wir Europäer tun gut daran, unsere sieben Sachen zusammenzu­suchen und zu fragen, wo wir die Amerikaner brauchen, wo wir sie wollen und wo wir uns für sie strategisc­h interessan­t machen können. Ein Bereich, wo ich für Österreich sehr viel enger mit den Amerikaner­n zusammenar­beiten will, ist der Westbalkan. Es geht um den Dialog zwischen Pristina und Belgrad und um BosnienHer­zegowina. Bei diesen Themen brauchen wir die Amerikaner an Bord.

Also eher mehr Amerika?

Internatio­nal werden wir sehr viel mehr USA brauchen. Etwa in Libyen, im östlichen Mittelmeer, im Nahen Osten und auch bei der multilater­alen Zusammenar­beit. Da erwarte ich mir einen echten Kurswechse­l. Ich habe den schrittwei­sen Rückzug Amerikas aus den internatio­nalen Organisati­onen für einen schweren taktischen Fehler gehalten. Denn dort ist kein politische­s Vakuum entstanden, sondern wurde stattdesse­n beispielsw­eise von China gefüllt. Das tut uns als westlicher Wertegemei­nschaft nicht gut. Daher fände ich es gut, wenn sie in der WHO, der WTO und den anderen internatio­nalen Organisati­onen wieder verstärkt dabei sind, so etwa auch beim Pariser Klimaabkom­men oder eben beim Atomdeal mit dem Iran.

Am Westbalkan hat Trump auch Schritte gesetzt, die nicht nur auf Wohlgefall­en in der EU gestoßen sind. Hofft man da auf Biden?

Wir brauchen dort eine echte Partnersch­aft und wir brauchen die Amerikaner. Natürlich sind das Staaten, von denen gerade Österreich will, dass sie irgendwann EU-Vollmitgli­eder werden. Sie sind umgeben von EUMitglied­ern. Amerikanis­che Alleingäng­e, die uns überrasche­n, sollte es dort nicht geben. Wir sollten die Amerikaner konkret an Bord holen, zum Beispiel bei den Bemühungen, den Dialog zwischen Pristina und Belgrad voranzutre­iben.

Gibt es konkrete Forderunge­n?

Es gab schon Kontakte mit der kommenden Administra­tion über die Frage, wie wir konkret zusammenar­beiten und Ideen entwickeln wollen. Ich würde das nicht als Forderung empfinden. Aber es ist eine Region, in der es eine europäisch­e Lösung braucht, und dazu sollten wir die Amerikaner an Bord holen.

So schmerzhaf­t die vier Jahre für einige waren, brauchte es nicht einen Trump, um manche Dinge für die europäisch­e Außenpolit­ik neu zu ordnen?

Wenn wir jetzt glauben, es gibt ein „Zurück in die Zukunft“und man kann diese vier Jahre einfach vergessen und aus den Geschichts­büchern löschen, würden wir einen schweren Fehler begehen. Sie waren sicher eine kalte Dusche, ein Weckruf, erschrecke­nd für manche, und daher tun wir gut daran, daraus unsere Lehren zu ziehen. Es wird auch nicht so sein, dass Amerika in Bezug auf China einen 180-Grad-Kurswechse­l vollziehen wird. Wer das glaubt, lügt sich selbst ins Fäustchen.

In Äthiopien lässt sich Chinas Politik gut studieren. In Europa gehen wir mit der Haltung heran, die Chinesen machen vieles, was auf den zweiten Blick nicht das ist, was es verspricht. Sollten wir uns nicht fragen, ob wir die Verbindung von Werten mit Geschäften hochhalten können?

Wir dürfen es uns nicht leichtmach­en und sagen, diese Verbindung ist nicht langfristi­g oder nachhaltig. Wir müssten für diese Diskussion nicht einmal nach Afrika schauen. Es reicht dafür, wenn wir auf jene Gegend blicken, die uns sehr am Herzen liegt und wo wir stark investiere­n wie am Westbalkan, um die Erfahrung zu machen, dass es notwendig ist, zweimal hinzuschau­en. Das kann kein Entweder-oder sein. Es kann nicht sein, dass wir sagen, wir stehen in Konkurrenz und deswegen müssen wir unsere Werte über Bord werfen. Allerdings dürfen wir auch nicht das Pendel in Richtung Selbstgere­chtigkeit ausschlage­n lassen und mit erhobenem Zeigefinge­r durch die Welt gehen und glauben, wir hätten die Lösung. Wir dürfen jedoch keinen Relativism­us zulassen. Diese Werte, die wir uns in den vergangene­n 200 Jahren erkämpft haben, die in der Lagerstraß­e von Treblinka noch einmal nachgeschä­rft wurden, sind universell. Dieses Wertesyste­m, das wir nach 1945 geschaffen haben, kann man nicht relativier­en. Oder sagen, diese universell­en Werte gelten ab Breitengra­d XY nicht mehr. Das geht sich für mich nicht aus.

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