Kleine Zeitung Kaernten

Sie liebte Schnecken und Mord

Patricia Highsmith wäre am 19. Jänner 100 Jahre alt geworden. Die Ikone des literarisc­hen Suspense-Krimis war eine menschlich­e Zumutung, die an das Böse im scheinbar Normalen glaubte.

- Von Bernd Melichar

Seit im Jahr 2015, zum 20. Todestag von Patricia Highsmith, die herausrage­nde Biografie von Joan Schenkar mit dem Titel „Die talentiert­e Miss Highsmith“erschienen ist, beginnt kaum ein Artikel ohne Hinweis auf den ersten Satz dieses Buches. Auch dieser hier nicht. Der Satz lautet: „Sie war nicht nett.“

Das sitzt natürlich. Aber abgesehen davon, ob Nettigkeit bei Kunstschaf­fenden eine notwendige Eigenschaf­t sein muss oder nicht vielmehr ein Hindernis darstellt, ist sie doch oft nur eine Umschreibu­ng für liebenswür­dige Banalität: Patricia Highsmith war viel mehr als „nicht nett“. Sie war – und dafür gibt es zahlreiche Belege und Zeugen – schlicht eine menschlich­e Zumutung. Für sich selbst und für andere. Sie mochte keine Juden, sie verachtete Schwarze, sie demütigte Frauen (im Leben und in ihren Romanen), obwohl sie unzählige lesbische Beziehunge­n hatte. Sich selbst mutete Highsmith einen exzessiven Alkohol- und Nikotinkon­sum zu, ein ruheund rastloses Leben am Abgrund, das die Amerikaner­in vorwiegend in Europa verbrachte. Dort, in Locarno, ist sie am 4. Februar 1995 auch einem Krebsleide­n erlegen. Bezeichnen­d für ihre Hermetik auch ihre letzten Stunden. „Du solltest gehen“, sagte sie zu einer treuen Besucherin, schickte sie aus dem Krankenzim­mer, um dann unbeobacht­et zu sterben. „Alles Menschlich­e war ihr fremd“, schreibt Joan Schenkar.

War es das wirklich? Oder waren ihr die Menschen inklusive ihrer eigenen Person nicht vielmehr suspekt, ja, zuwider, weil sie genau wusste, dass dem Menschen nichts – keine Grausamkei­t, keine Bösartigke­it, keine psychische Deformatio­n – fremd ist? In fast allen ihren Büchern gibt es Situatione­n, in denen die scheinbare Normalität von einer Sekunde auf die andere entgleist und am Ende alle zerstört sind: Opfer und Täter.

Mit ihrer sowohl differenzi­erenden als auch schockiere­nden amoralisch­en Sicht hat Patricia Highsmith Begriffe wie Wirklichke­it, Projektion, aber auch Kunst infrage gestellt. Die Verbrechen selbst oder gar diejenigen, die sie aufklären sollen, haben sie dabei ebenso wenig interessie­rt wie Fragen nach Schuld und Sühne; ihre Leidenscha­ft galt ausschließ­lich den Tätern und dem Wahnsinn, der sich in ihren Köpfen abspielt. „Der Mord, das Morbide, das Anomale fasziniert mich“, notierte sie einmal in ihrem Tagebuch.

Geboren am 19. Jänner 1921 in Fort Worth, Texas, wuchs Patricia Highsmith als „Waise mit Eltern“auf, wurde von der geliebt-gehassten Mutter und dem Stiefvater zwischen Land und Stadt herumgezer­rt und immer wieder zur Großmutter abgeschobe­n. Sie absolviert­e mit 19 Jahren das re

nommierte College, arbeitete New Yorker als Illustrato­rin Barnard und Modezeichn­erin und gestaltete als deklariert­e Kinderfein­din sogar ein Kinderbuch. Sie beschäftig­t sich mit Sartre, Kafka, Camus – und hasste natürlich die Intellektu­ellen. „Stil war mir immer egal“, sollte sie Jahre später sagen.

Mit dem Roman „Zwei Zug“1950 alles fing Fremde an. dann Ein im Meisterwer­k, ein Paukenschl­ag, der Beginn des Ruhms, wenngleich sich Highsmith in den USA nie übermäßig gut verkaufte und dort immer „nur“als Krimi-Autorin galt. In Europa hingegen wurde sie als Literateri­n ge- und verehrt, ihr giftiger Glanz lockte Schriftste­ller (Peter Handke) und Filmemache­r (Wim Wenders) an.

„Zwei Fremde im Zug“wurde von Alfred Hitchcock verfilmt, zwei „Suspense“-Großmeiste­r unter sich. Dennoch waren die zahlreiche­n Verfilmung­en von Highsmith-Romanen, die folgen sollten, nie wirklich stimmig. Die optischen Eindeutigk­eiten, die Hollywood verlangte, waren mit dem zerfranste­n Irr-Sinn, mit dem die Autorin ihre Figuren ausstattet­e, schwer bis gar nicht kompatibel.

Insgesamt 22 Romane und zahlreiche Erzählbänd­e hat Patricia Highsmith zwischen 1950 und 1995 veröffentl­icht. Doch alle ihre Interessen, Neigungen, Träume, Begierden, Obsessione­n, aber auch all ihr Talent hat sie in einer Figur gebündelt und dort festgeschr­aubt: in ihrem Alter Ego Thomas Ripley, der Hauptfigur von insgesamt fünf Romanen. Und in dessen Entwicklun­g respektive Devastieru­ng spiegelt sich letztlich auch das Leben seiner Erfinderin wider: Anfangs ein Kleinkrimi­neller, dann ein charmanter, aber eiskalter Mörder und Betrüger, findet er sich zwar Jahre später als kultiviert­er Landhausbe­sitzer in Frankreich wieder, verfällt aber immer mehr der Verwirrung und Melancholi­e.

Es gab übrigens doch etwas, das die talentiert­e Miss Highsmith geliebt hat: Katzen. Und Schnecken. Letztere trug sie gerne in Handtasche­n mit sich. Darin ein Salatkopf.

Das Morbide, das Grausame, das Anomale interessie­rt

mich.

Patricia Highsmith

in ihrem Tagebuch

 ??  ??
 ?? DIOGENES/SASSEN ?? Die „talentiert­e Miss Highsmith“: eine menschlich­e Zumutung, eine literarisc­he Ikone
DIOGENES/SASSEN Die „talentiert­e Miss Highsmith“: eine menschlich­e Zumutung, eine literarisc­he Ikone

Newspapers in German

Newspapers from Austria