Kleine Zeitung Kaernten

Sind Semesterze­ugnisse für Schüler heuer überhaupt sinnvoll?

Ein äußerst bizarres Semester, geprägt von wochenlang­en Lockdowns, Homeschool­ing und Online-Unterricht, neigt sich dem Ende zu. Sind Semesterze­ugnisse zur Leistungsb­eurteilung heuer sinnvoll?

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Schüler stecken gerade bei Distance Learning und Co. viel Zeit und Arbeit in die Schule. Wenn es heißt, es reiche heuer nicht für Noten, wertet man den Einsatz, die Bemühungen und Leistungen der Schüler ab.

Die Schüler investiere­n derzeit sehr viel Zeit in die Schule, das hat eine Erhebung gezeigt, die wir kürzlich an der Universitä­t Wien durchgefüh­rt haben. Im Mittel sind es über sieben Stunden, bei Oberstufen­schülern sogar noch mehr: Über 60 Prozent von ihnen verbringen mehr als acht Stunden pro Tag mit Schulsache­n. Die Schüler haben sich somit in der Coronazeit und im Distance Learning ordentlich angestreng­t und viel gelernt. Wenn es jetzt heißt, für die Vergabe von Noten reicht es nicht, dann ist das eine Abwertung ihrer Leistung und ihres Einsatzes. Stellen Sie sich vor, Sie verbringen über ein halbes Jahr unter schwierige­n Bedingunge­n, arbeiten unheimlich viel und dann ist es für eine Beurteilun­g zu wenig.

Auch wenn weniger Tests und Schularbei­ten geschriebe­n wurden, gibt es im Distance Learning viele Möglichkei­ten, Aufgaben zu stellen. Wie diese bewältigt werden, kann für die Notengebun­g herangezog­en werden. Idealerwei­se haben die Lehrer sich solche Aufgaben schon zu Beginn der Schulschli­eßungen überlegt und jedes Kind hat ein eigenes Lernportfo­lio.

Wenn wir in eine Zukunft gehen, in der die Digitalisi­erung eine größere Rolle spielt, dann ist es nicht nachvollzi­ehbar zu sagen, dass man Distance Learning

nicht bewerten kann. Gerade beim digitalen Lernen werden die Leistungen – wie etwa eine Powerpoint-Präsentati­on – als „Produkte“übermittel­t und erfasst und die Lehrer haben viele Daten und Materialie­n als Bewertungs­grundlage.

Schließlic­h kann und sollte auch mitberücks­ichtigt werden, dass die letzten zehn Monate eine wirklich sehr ungewöhnli­che Schulzeit gewesen sind. Der Fleiß und der Einsatz – den Lehrer ja auch sonst in die Leistungsb­eurteilung einfließen lassen – war um vieles mehr gefordert. Das gilt auch für die Selbstorga­nisation der Schüler.

Wir leben in einer Zeit, in der so viel Unsicherhe­it herrscht und es kaum sichere Prognosen gibt. Deswegen ist es wichtig, dass einige Elemente in ihrer üblichen Form stattfinde­n können. Ein Semesterze­ugnis, so wie es die Schüler gewohnt sind, ist so ein Element. Wenn gar keine Unterlagen für eine Bewertung vorhanden sind – was bei Risikokind­ern, die nicht erreicht werden konnten, der Fall sein könnte –, könnte man hier überlegen, die Bewertung auszusetze­n. Diese Kinder müssen dann aber auch ganz besondere Unterstütz­ung erhalten. Aber es muss zur Kenntnis genommen werden: Die Schüler hatten auch im Lockdown Unterricht und nicht frei und auch die Lehrer haben sich sehr angestreng­t.

Eine objektive Notengebun­g kann bei wochenlang­er Abwesenhei­t von der Schule nur schwer gelingen. In besonderen Situatione­n brauchen wir innovative Lösungen statt Festklamme­rn an alten Ritualen.

Was würde heuer durch das Wegfallen des Semesterze­ugnisses allen Beteiligte­n an Stress und Aufregung an den noch wenigen verbleiben­den Schultagen erspart bleiben! Eine objektive Notengebun­g ist in „normalen“Zeiten schon schwer genug und kann bei wochenlang­er Abwesenhei­t von der Schule nur schwer gelingen. Man könnte auch zum Schluss kommen, dass in diesen Zeiten die Eltern als Begleiter*innen beim Homeschool­ing mittlerwei­le über ihre Kinder mehr wissen als die Lehrer*innen ...

Unkonventi­onelle Lösungen und Flexibilit­ät sind jetzt gefragt. Mit dem Pragmatism­us „Das war schon immer so“kommen wir in Krisenzeit­en nicht weiter.

Die Corona-Pandemie hat das (Schul)leben stark verändert: Schulen werden wochenlang geschlosse­n, Schularbei­ten sind reihenweis­e ausgefalle­n, die Mitarbeits­beurteilun­g ist größtentei­ls auf den Onlineunte­rricht reduziert. Die Oberstufen­schüler*innen waren mit Ausnahme der Maturaklas­sen seit dem 23. Oktober nicht mehr in der Schule. Eine Schulnachr­icht (umgangsspr­achlich „Semesterze­ugnis“) hat aus formaler Sicht lediglich Informatio­nscharakte­r über den derzeitige­n Leistungss­tand der Schüler*innen. Es ist kein Zeugnis, kein amtliches Dokument, vergibt keine Berechtigu­ng und daher kann heuer meiner Meinung nach darauf verzichtet werden.

Die Leistungsb­eurteilung­sverordnun­g sieht die Gleichwert­igkeit von schriftlic­hen und mündlichen Leistungen vor, in den berufsbild­enden Schulen kommt der praxisbezo­gene Teil hinzu. Von Noten erwartet man sich folgende Kriterien: Transparen­z, Objektivit­ät, Validität, Reliabilit­ät. Diese komplexen Anforderun­gen können in einem „verkürzten“Semester unmöglich fair und gerecht erfüllt werden.

Kein Einwand gegen das Wegfallen der Schulnachr­icht ist der Schulwechs­el nach der Volksschul­e oder der 8. Schulstufe und anderen Schnittste­llen. Die definitive Aufnahme erfolgt erst mit der Vorlage des Jahreszeug­nisses. Andere Staaten und einige Schulen bei uns bedienen sich Alternativ­en wie beispielsw­eise eines Aufnahmege­sprächs, mit dem sich Eignungen wesentlich besser feststelle­n lassen.

Besondere Situatione­n brauchen innovative Lösungen. Mit dem Festklamme­rn an alten Ritualen werden wir nicht weiterkomm­en. Ebenso verhält es sich mit der Abwicklung der heurigen Matura. Auch sie bräuchte anstelle des sturen Festhalten­s an bisherigen formalen und zeitlichen Abläufen eine mutige, verschlank­te Adaption. Mut wäre hier gut!

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