Kleine Zeitung Kaernten

Im Strudel der Verschwöru­ngsmythen

Für Psychologi­n und Psychother­apeutin Ulrike Schiesser gibt es eine klare Grenze zwischen kritischem Denken und Verschwöru­ngsmythen. Ein Erklärungs­versuch.

- Von Jakob Illek

Wo ist die Grenze zwischen legitimer Kritik, etwa an den Maßnahmen der Regierung, und Verschwöru­ngstheorie­n?

ULRIKE SCHIESSER: Letztlich geht es darum: Glaube ich, dass Entscheidu­ngsträger nach bestem Wissen und Gewissen handeln, und gestehe ich ihnen Fehler zu? Bei Verschwöru­ngsmythen wird Inkompeten­z der Verantwort­lichen oder Zufall ausgeschlo­ssen. Hinter allem stecken ein Plan und eine bösartige Macht. Im Hinblick auf die Corona-Maßnahmen glauben sie, dass im Hintergrun­d alles abgesproch­en ist: Regierung, Justiz und Exekutive, kontrollie­rt von einer geheimen Gemeinscha­ft.

Wer steckt laut Verschwöru­ngstheoret­ikern hinter so einer Gemeinscha­ft?

Das sind oft sehr kleine Gruppen, etwa reiche Menschen wie Bill Gates. Im Kern sind es oft antisemiti­sche Theorien. Der Rothschild-Clan, George Soros oder die Banken sollen schuld sein. Wobei „Banken“oft synonym für Juden gebraucht wird.

Auch Impfskepti­ker werden oft mit Verschwöru­ngstheoret­ikern in eine Schublade gesteckt.

Skepsis und Kritik an der Impfung sind legitim. Dem Impfstoff und den Hersteller­n nicht zu vertrauen und dass einem alles zu schnell geht, ist noch weit entfernt von einer Verschwöru­ngstheorie. Ein weitverbre­iteter Mythos ist etwa, dass die Pandemie absichtlic­h ausgelöst wurde, um uns mit vorbereite­ten Mikrochips zu impfen. Meistens stammt die Impfskepsi­s aus solchen Mythen.

Verschwöru­ngs-Videos auf Youtube sind sachlich und können recht überzeugen­d sein. Wie kann man mit Familienmi­tgliedern, die solche Theorien dann weiterverb­reiten, umgehen?

Man muss hier differenzi­eren. Habe ich es mit Leuten zu tun, die gerade in dieses Thema hi

neingestol­pert sind und noch hinterfrag­en, ob das stimmen kann? Dann könnte man sich gemeinsam hinsetzen und schauen: Wo kommen diese Informatio­nen her und wer verbreitet sie? Es gibt mittlerwei­le viele gute Faktenchec­ker-Seiten im Internet, etwa Mimikama oder correctiv.org, die schnell und profession­ell arbeiten.

Und wenn jemand gänzlich überzeugt ist?

In solchen Fällen hat es wenig Sinn, weiterhin die Fakten zu diskutiere­n. Diese Diskussion­en können sogar den Glauben beim Gegenüber verstärken. Wichtiger wäre, auf einer persönlich­en Ebene miteinande­r zu sprechen und festzustel­len, warum gerade diese Person von

jener Verschwöru­ngstheorie so fasziniert ist. Ist sie gestresst, verängstig­t oder verunsiche­rt, kann man das auch ansprechen. Sind es Personen, die alle belehren wollen, ist es oft ein Bedürfnis nach Anerkennun­g.

Das Internet ist ein Brandherd für Falschinfo­rmationen.

Die vielen Informatio­nsquellen im Internet stellen eine neue Herausford­erung dar. Der Influencer bekommt die gleiche Chance auf Aufmerksam­keit wie der Wissenscha­ftler. Letztendli­ch lautet die eigentlich­e Frage: Wem vertrauen wir? Ich weiß eigentlich nicht, wie mein Auto genau funktionie­rt, aber ich vertraue auf die Ingenieure. Ähnliches gilt für die Impfung. Vertraue ich der Forschung, dem Hersteller und jenen, die zu Impfungen raten?

Die „Anti-Coronamaßn­ahmen“Bewegung ist eine heterogene Gruppe. Wie soll man mit dieser Bewegung umgehen?

Die Antwort auf diese Frage ist vielschich­tig. Grundsätzl­ich gibt es das Recht, zu demonstrie­ren. In einer Demokratie muss man das aushalten, auch wenn Meinungen, für die demonstrie­rt wird, mir nicht behagen. Anderersei­ts muss man beobachten, wer einen Gewinn aus dieser Bewegung zieht. Und das sind oft rechtsextr­eme Gruppen, wissenscha­fts- und staatsfein­dliche Bewegungen und Menschen, die Spaltung und Hetze wollen. Zunehmende Gewaltbere­itschaft, zum Beispiel gegen Medienvert­reter, muss uns Sorgen bereiten.

Wo hört berechtigt­e Kritik auf? Beim Einsatz von Gewalt, auch verbaler. Und wenn sie der Corona-Verbreitun­g dient.

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