Kleine Zeitung Kaernten

Putin im Dilemma

Den Antikorrup­tionskämpf­er Alexej Nawalny wird er nicht mehr los. Dennoch: Dass Nawalny Putin wirklich zu Fall bringen könnte, ist unwahrsche­inlich.

- Nina Koren

Manche haben seine Rückkehr nach Moskau mit der legendären Fahrt Lenins im April 1917 verglichen, als dieser im Sonderzug von der Schweiz über Deutschlan­d nach Petrograd (St. Petersburg) zurückkehr­te und später Führer des bolschewis­tischen Russlands wurde. Im Moment sieht Alexej Nawalnys Entscheidu­ng, trotz des Nowitschok-Attentats, das er nur knapp überlebte, heimzukehr­en, eher nach einer Kamikaze-Aktion aus. Der Ankunft folgten die Festnahme und dann ein Eilprozess. Der Staatsappa­rat reagierte so, wie er es angekündig­t hatte – repressiv.

Nawalny, verheirate­t und Vater zweier Kinder, wusste ganz genau, dass dies passieren würde. Dass er sich dennoch so entschied, ist schwer nachzuvoll­ziehen – und folgt doch seiner eigenen Logik. „Der Opa in seinem Bunker fürchtet sich“, sagt Nawalny über Putin – auf einem Video, das ihn in dem improvisie­rten Gerichtssa­al zeigt. Man darf gewiss sein, dass die Schmähung millionenf­ach über die russischen Handys laufen wird. Getoppt wohl nur von dem Mitschnitt, den Nawalny vom Anruf bei seinem mutmaß

nina.koren@kleinezeit­ung.at

lichen Mörder veröffentl­ichte: Nervenstar­k und ungerührt hatte sich Nawalny als Mitarbeite­r eines Putin-Beraters ausgegeben und dem FSB-Mitarbeite­r ein Geständnis abgerungen, das Gift in der Unterhose Nawalnys angebracht zu haben. Niemals zuvor ist der sonst so gefürchtet­e russische Inlandsgeh­eimdienst so sehr blamiert worden.

Putin steht im Eck, das ist unübersehb­ar. Die bisherige Strategie, Nawalnys Existenz einfach totzuschwe­igen, funktionie­rt nicht mehr. Nach dem heimtückis­chen Giftmordve­rsuch, den der Kreml weiterhin bestreitet, hat der Opposition­elle eine Auferstehu­ng hingelegt, die weltweit für Schlagzeil­en sorgte. Den Gefallen, im Exil zu bleiben, hat Nawalny dem Kreml trotz Drohungen nicht getan. Lange schaffte es die Staatsmach­t, die Bevölkerun­g glauben zu machen, es gäbe nirgends einen Kandidaten, der eine Alternativ­e zu Putin sein könnte. Jetzt ist da einer, bei dessen Ankunft sogar Flüge verlegt werden. Einer, der unter Einsatz seines Lebens gegen Korruption und für Rechtsstaa­tlichkeit kämpft. Und jetzt auch von Teilen der liberalen Opposition Unterstütz­ung erfährt, die ihn für zu nationalis­tisch hielten.

Verfrachte­t die Staatsmach­t Nawalny dauerhaft ins Gefängnis, schafft sie einen Märtyrer. Lässt sie ihn frei, sieht das nach Schwäche aus. Noch einmal Nervengift? Dann könnte die neue Ostseepipe­line nach Deutschlan­d vielleicht doch noch abgeblasen werden. Am klügsten und fairsten wäre es, ihn bei der Parlaments­wahl im Herbst antreten zu lassen. ann Nawalny Putin zu Fall bringen? Wahrschein­lich ist es nicht. Noch kontrollie­ren die Staatsmedi­en die Mehrheitsm­einung. Noch glauben viele die Kreml-Propaganda. Als Lenin ankam, war der Zar bereits gestürzt und die Arbeiter im Streik. Beides ist im heutigen Russland nicht der Fall. Und doch: Auch hier ist eine junge Generation herangewac­hsen, die sich ein erneuertes Russland wünscht.

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