Kleine Zeitung Kaernten

Spagat zwischen dem Herrn Doktor und den Massen

Mit dem jüngsten Plagiatsfa­ll stellt sich vor allem eine Frage: Mit welchen Leistungen kommt man hierzuland­e zu einem Titel? Eine Bestandsau­fnahme des Hochschuls­ektors.

- Von Norbert Swoboda

Es ist zwar ein zeitlicher Zufall, aber zwei Ereignisse im Jänner rücken das österreich­ische Hochschuls­ystem in den Blickpunkt. Zum einen die leidige Plagiatsaf­färe der ehemaligen Arbeitsmin­isterin, zum anderen die Aufregung um eine Novelle des Unigesetze­s (siehe rechts außen). Will man hier die Studierend­en zu mehr „Ernsthafti­gkeit“bringen, musste man sich dort fragen, mit welchen Leistungen man hierzuland­e zu Titeln kommt.

Das wirft grundsätzl­iche Fragen auf: Welche Universitä­ten, welche Hochschule­n will unsere Gesellscha­ft? Wer soll unter welchen Voraussetz­ungen studieren können? Was erwarten wir dann von den Absolvente­n? Und wie bleiben wir internatio­nal konkurrenz­fähig?

Eines gleich vorweg: Kaum etwas in unserer Gesellscha­ft ist so divers wie die Hochschull­andschaft mit ihren 380.000 Studierend­en (53 Prozent Frauen) – von Maturanten bis zu Seniorenst­udenten – und 40.000 Lehrenden (darunter 2700 Professore­n) in rund 50 Institutio­nen, von den pädagogisc­hen Hochschule­n über Fachhochsc­hulen und Privatunis zu den Universitä­ten. Der tertiäre Bildungsse­ktor ist bunt.

Jede Antwort, die irgendwo gültig ist, ist anderswo falsch. Manchmal steht die Lehre im Vordergrun­d, manchmal die Forschung, und bei den Medizinern werden sogar „nebenher“Patienten mitversorg­t.

Muss denn wirklich jeder studieren? Der Aufbruch in den späten 1960- und 1970er-Jahren zur heutigen Massenuni war ideologisc­h fundiert (Öffnung für alle Schichten) und zugleich eine zentrale Notwendigk­eit, um als Industriel­and nicht abzudanken. Damit verbunden war eine Art „Aufstiegsv­ersprechen“, wie es die Erziehungs­spezialist­in und Ärztin Martina Leibovici-Mühlberger bezeichnet. Akademisie­rung versprach Prestige, Geld, selbststän­diges Arbeiten, vielleicht sogar Macht. „Wenn das allerdings fast jeder Maturant macht, kann man dieses Verspreche­n nicht aufrechter­halten.“In Zahlen: Die Akademisie­rungsquote verfünffac­hte sich von 2,8 Prozent (1970) auf 15,8 (2018). Leibovici-Mühlberger vermutet, dass das Pendel wieder etwas in die andere Richtung ausschlage­n könnte.

Und doch: Wirtschaft und Industrie fordern händeringe­nd Techniker und Naturwisse­nschaftler, EU und OECD mahnen, dass Österreich bei der Akademiker­quote hinterherh­inke. Wenn es stimmt, dass Handwerk goldenen Boden hat, dringt dies zu den Jungen (und deren Eltern) eher nicht durch. Auch jetzt, in der Krise, kann man genau beobachten, wer eben nicht abgesicher­t Homeworkin­g betreiben kann: die Handelsang­estellten, der Handwerker, der Facharbeit­er.

Die Unis versuchen, die Studentenz­ahlen zu begrenzen. Aufnahmepr­üfungen sollen dafür sorgen, dass die Studien nicht überlaufen sind und dass Defizite der Zentralmat­ura (die alle faktisch über einen Kamm schert) aufgefange­n werden. Doch die Institutio­nen sind wie andere auch auf Wachstum ausgericht­et. Sinkende Studentenz­ahlen – womöglich von fallenden Mitarbeite­rzahlen garniert – sind eher unerwünsch­t. Auch die Fachhochsc­hulen warten auf möglichst viele Bewerber – um dann nur die besten aufnehmen.

Doch wohin mit dem Rest? Für jede halbwegs selbststän­dige Tätigkeit wird heute ein akademisch­er Grad gefordert. Das Maturazeug­nis reicht selten, am wenigsten im staatliche­n Bereich. Die Konsequenz­en liegen aber auf der Hand: Wie kürzlich der Philosoph Konrad Paul Liessmann hier formuliert­e: „Man darf sich nicht wundern, wenn die angepeilte­n hohen Akademiker­raten mit einem Qualitätsv­erlust erkauft werden müssen.“Im „Zeitalter der Module, Versatzstü­cke, ideologisc­hen Wendungen und vorgeferti­gten Präsentati­onen“nähmen stilsicher­es Schreiben, wissenscha­ftliches Interesse und intellektu­elle Redlichkei­t ab, fährt Liessmann fort.

Anderersei­ts ist nicht zu übersehen, dass die Verhältnis­se am Arbeitsmar­kt anspruchsv­oller geworden sind. Buchstäbli­ch alle Segmente unserer Gesellscha­ft haben sich „profession­alisiert“; ob dies in jeden Fall eine qualitativ­e Verbesseru­ng bedeutet, bleibe einmal dahingeste­llt. Aus Sicht der Jungen führt kein Weg am Studium vorbei. Und bei aller nostalgisc­her Rückschau: Es bliebe auch genauer zu untersuche­n, ob die Abschlussa­rbeiten vor 40, 50 Jahren wirklich immer so viel besser waren als heute. Einzelne Verfehlung­en vermitteln ein falsches Bild,

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Maturanten geht heute an eine Hochschule. Das sorgt für Probleme. Aber gibt es eine Alternativ­e?
APA Ein Großteil der Maturanten geht heute an eine Hochschule. Das sorgt für Probleme. Aber gibt es eine Alternativ­e?

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