Spagat zwischen dem Herrn Doktor und den Massen
Mit dem jüngsten Plagiatsfall stellt sich vor allem eine Frage: Mit welchen Leistungen kommt man hierzulande zu einem Titel? Eine Bestandsaufnahme des Hochschulsektors.
Es ist zwar ein zeitlicher Zufall, aber zwei Ereignisse im Jänner rücken das österreichische Hochschulsystem in den Blickpunkt. Zum einen die leidige Plagiatsaffäre der ehemaligen Arbeitsministerin, zum anderen die Aufregung um eine Novelle des Unigesetzes (siehe rechts außen). Will man hier die Studierenden zu mehr „Ernsthaftigkeit“bringen, musste man sich dort fragen, mit welchen Leistungen man hierzulande zu Titeln kommt.
Das wirft grundsätzliche Fragen auf: Welche Universitäten, welche Hochschulen will unsere Gesellschaft? Wer soll unter welchen Voraussetzungen studieren können? Was erwarten wir dann von den Absolventen? Und wie bleiben wir international konkurrenzfähig?
Eines gleich vorweg: Kaum etwas in unserer Gesellschaft ist so divers wie die Hochschullandschaft mit ihren 380.000 Studierenden (53 Prozent Frauen) – von Maturanten bis zu Seniorenstudenten – und 40.000 Lehrenden (darunter 2700 Professoren) in rund 50 Institutionen, von den pädagogischen Hochschulen über Fachhochschulen und Privatunis zu den Universitäten. Der tertiäre Bildungssektor ist bunt.
Jede Antwort, die irgendwo gültig ist, ist anderswo falsch. Manchmal steht die Lehre im Vordergrund, manchmal die Forschung, und bei den Medizinern werden sogar „nebenher“Patienten mitversorgt.
Muss denn wirklich jeder studieren? Der Aufbruch in den späten 1960- und 1970er-Jahren zur heutigen Massenuni war ideologisch fundiert (Öffnung für alle Schichten) und zugleich eine zentrale Notwendigkeit, um als Industrieland nicht abzudanken. Damit verbunden war eine Art „Aufstiegsversprechen“, wie es die Erziehungsspezialistin und Ärztin Martina Leibovici-Mühlberger bezeichnet. Akademisierung versprach Prestige, Geld, selbstständiges Arbeiten, vielleicht sogar Macht. „Wenn das allerdings fast jeder Maturant macht, kann man dieses Versprechen nicht aufrechterhalten.“In Zahlen: Die Akademisierungsquote verfünffachte sich von 2,8 Prozent (1970) auf 15,8 (2018). Leibovici-Mühlberger vermutet, dass das Pendel wieder etwas in die andere Richtung ausschlagen könnte.
Und doch: Wirtschaft und Industrie fordern händeringend Techniker und Naturwissenschaftler, EU und OECD mahnen, dass Österreich bei der Akademikerquote hinterherhinke. Wenn es stimmt, dass Handwerk goldenen Boden hat, dringt dies zu den Jungen (und deren Eltern) eher nicht durch. Auch jetzt, in der Krise, kann man genau beobachten, wer eben nicht abgesichert Homeworking betreiben kann: die Handelsangestellten, der Handwerker, der Facharbeiter.
Die Unis versuchen, die Studentenzahlen zu begrenzen. Aufnahmeprüfungen sollen dafür sorgen, dass die Studien nicht überlaufen sind und dass Defizite der Zentralmatura (die alle faktisch über einen Kamm schert) aufgefangen werden. Doch die Institutionen sind wie andere auch auf Wachstum ausgerichtet. Sinkende Studentenzahlen – womöglich von fallenden Mitarbeiterzahlen garniert – sind eher unerwünscht. Auch die Fachhochschulen warten auf möglichst viele Bewerber – um dann nur die besten aufnehmen.
Doch wohin mit dem Rest? Für jede halbwegs selbstständige Tätigkeit wird heute ein akademischer Grad gefordert. Das Maturazeugnis reicht selten, am wenigsten im staatlichen Bereich. Die Konsequenzen liegen aber auf der Hand: Wie kürzlich der Philosoph Konrad Paul Liessmann hier formulierte: „Man darf sich nicht wundern, wenn die angepeilten hohen Akademikerraten mit einem Qualitätsverlust erkauft werden müssen.“Im „Zeitalter der Module, Versatzstücke, ideologischen Wendungen und vorgefertigten Präsentationen“nähmen stilsicheres Schreiben, wissenschaftliches Interesse und intellektuelle Redlichkeit ab, fährt Liessmann fort.
Andererseits ist nicht zu übersehen, dass die Verhältnisse am Arbeitsmarkt anspruchsvoller geworden sind. Buchstäblich alle Segmente unserer Gesellschaft haben sich „professionalisiert“; ob dies in jeden Fall eine qualitative Verbesserung bedeutet, bleibe einmal dahingestellt. Aus Sicht der Jungen führt kein Weg am Studium vorbei. Und bei aller nostalgischer Rückschau: Es bliebe auch genauer zu untersuchen, ob die Abschlussarbeiten vor 40, 50 Jahren wirklich immer so viel besser waren als heute. Einzelne Verfehlungen vermitteln ein falsches Bild,