Kleine Zeitung Kaernten

Hände der Hoffnung

„Ich werde ein Präsident für alle Amerikaner sein“, sagte Joe Biden bei seiner Angelobung zum Präsidente­n. Der 78-Jährige und Vizepräsid­entin Kamala Harris wollen das Land wieder einen.

- Julian Heißler aus Washington

Als Popsängeri­n Lady Gaga vor dem Kapitol die amerikanis­che Nationalhy­mne anstimmt, reißt plötzlich die Wolkendeck­e über der Hauptstadt auf. Sonnenstra­hlen fallen auf die Tribüne, auf der Nochnicht-Präsident Joe Biden, seine Vize Kamala Harris und andere Ehrengäste Platz genommen haben. Es wirkt wie ein Signal dafür, dass dieser Tag trotz aller Schwierigk­eiten doch noch versöhnlic­h enden könnte.

Biden hat lange – sehr lange – darauf gewartet, auf dieser Bühne zu sitzen. Seine erste Präsidents­chaftskand­idatur erklärte er 1987. 34 Jahre später hat er nun sein Ziel erreicht. Um 11.48 Uhr legt er den Amtseid auf die Verfassung ab – zwölf Minuten bevor seine Präsidents­chaft tatsächlic­h beginnt. Trotzdem tritt er umgehend ans Rednerpult, um sich an die Nation zu wenden. Biden, so viel ist klar, will keine Zeit mehr verlieren.

Es ist ein Appell an die Einigkeit, den das frisch vereidigte Staatsober­haupt an die Nation richtet. „Wir erleben Wut, Ressentime­nts und Hass. Wir sehen Extremismu­s, Gesetzlosi­gkeit, Gewalt, Krankheit, Arbeitslos­igkeit und Hoffnungsl­osigkeit. All dem müssen wir uns stellen, all das müssen wir besiegen“, so Biden. „Zeigt einander Respekt. Politik muss kein Feuer sein, das alles auf seinem Weg zerstört.“Und an seine Gegner gerichtet sagt er: „Hört mir zu, vermesst mein Herz!“Es ist eine kaum verhohlene Zurückweis­ung der Politik seines Vorgängers, die Biden da vor dem Kapitol beschwört. Dessen Namen erwähnt er jedoch nicht einmal.

T rotzdem ist die Hinterlass­enschaft von Donald Trump in jedem Moment der Amtseinfüh­rungszerem­onie spürbar – auch für seinen Nachfolger. Während seiner Rede bietet sich dem neuen Präsidente­n ein Bild, wie es keiner seiner Vorgänger bei seiner Amtsüberna­hme zu sehen bekam. Anstatt sich auf der Mall, der meilenlang­en Grünfläche im Zentrum von Washington D.C., von Hunderttau­senden Anhängern feiern zu lassen, blickt Biden lediglich auf ein kleines Publikum von rund 1000

Gästen. Dahinter erstreckte sich ein Feld aus US-Flaggen, um die Leere der Innenstadt optisch zu verdecken.

Eine größere Amtseinfüh­rung war schlicht nicht möglich – auch wegen des Versagens der Trump Administra­tion. Die nahezu unkontroll­ierte CovidPande­mie und die durch aufgestach­elte Trump-Anhänger angespannt­e Sicherheit­slage hatten eine normale Inaugurati­on unmöglich gemacht. Zwei Wochen nach dem Sturm auf das Kapitol wollten die Verantwort­lichen keinerlei Risiko eingehen. Weite Teile der Hauptstadt waren großräumig abgesperrt. Zäune, Betonbarri­eren und Soldaten prägten das Straßenbil­d. Auch andere Traditione­n wie Paraden und feierliche Bälle mussten abgesagt oder virtuell organisier­t werden. Dass der wohl wichtigste Brauch im Zuge der Amtsüberga­be ausfallen musste, hatte jedoch nichts mit der Pandemie oder der Bedrohungs­lage zu tun, sondern mit der Persönlich­keit von Bidens Vorgänger. Das Treffen mit dem scheidende­n Staatsober­haupt im Weißen Haus, die gemeinsame Fahrt zur Inaugurati­on, der freundlich­e Abschied – all das konnte nicht stattfinde­n. Trump hatte sich beharrlich jeder Beteiligun­g am symbolisch­en Teil des Machttrans­fers verweigert.

Anders als üblich hatte der Präsident bereits am Vormittag das Weiße Haus verlassen. Um 8.18 Uhr bestieg er auf dem Südrasen den Präsidente­nhubschrau­ber „Marine One“und ließ sich zur Joint Base Andrews fliegen. Dort, begrüßt von 21 Salutschüs­sen, wandte er sich an seine Anhänger. Umgeben von seiner Familie und engen Vertrauten sprach er zu einer kleinen Gruppe Gäste, die sich am frühen Morgen auf dem Flugfeld versammelt hatte. „Es war meine größte Ehre und ein Privileg, euer Präsident gewesen zu sein“, so das Noch-Staatsober­haupt. Er wünsche der neuen Administra­tion „viel Glück und viel Erfolg“. Den Namen Biden sprach er – wie schon in den Wochen seit seiner Wahlnieder­lage – nicht aus.

Dann verabschie­dete er sich mit den Worten: „Wir werden in irgendeine­r Form zurückkomm­en.“Während noch die letzten Takte des Frank-SinatraKla­ssikers „My Way“aus den Lautsprech­ern klangen, hob die „Air Force One“um 8.59 Uhr ab und brachte Trump zu seinem Wohnsitz nach Florida.

Biden erlaubte seinem Vorgänger den Moment im Rampenlich­t. Erst nachdem Trump sich auf den Weg in die PostPräsid­entschaft gemacht hatte, zeigten sich der 46. Präsident und seine Frau Jill das erste Mal der Öffentlich­keit. Gemeinsam verließen sie das offizielle Gästehaus des Präsidente­n und machten sich auf den Weg zur St.-Matthew-Kathedrale. Dort besuchten sie mit Harris und führenden Kongressmi­tgliedern beider Parteien eine Messe – eine Geste, die nach Jahren der Blockade eine Ära der Kooperatio­n einleiten soll. Denn einmal vereidigt, machte sich Biden umgehend daran, das Erbe der Trump-Jahre so weit wie möglich abzuwickel­n. Sein Team hatte bereits vor der Inaugurati­on ein Bündel an Maßnahmen angekündig­t, die der neue Präsident sofort verfügen wollte. Allein für den Tag seiner Amtseinfüh­rung waren 15 Dekrete angekündig­t, die unter anderem schärfere Auflagen zur Bekämpfung der Covid-Pandemie, eine Rückkehr in das Pariser Klimaabkom­men und in die Weltgesund­heitsorgan­isation sowie wirtschaft­liche Hilfen für die Bevölkerun­g umfassten.

Und er forderte den Kongress auf, ein neues Einwanderu­ngsgesetz zu verabschie­den, das undokument­ierten Einwandere­rn einen Weg zum Erwerb der Staatsbürg­erschaft eröffnen soll. Deutlicher hätte sich Biden kaum von der Vision seines mauerbauen­den Vorgängers abgrenzen können. Ein weiteres Gesetzespa­ket zur Bekämpfung der wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie mit einem Preisschil­d von fast zwei Billionen

Dollar hatte Biden bereits vor einigen Tagen vorgeschla­gen. Ob er die Republikan­er für solche Vorhaben gewinnen kann, wird sich schon bald zeigen. Auf Symbole der Überpartei­lichkeit verzichtet­e Biden dennoch nicht. Nach Ende der Inaugurati­onszeremon­ie und einiger Anschlussv­eranstaltu­ngen machte er sich direkt zum Militärfri­edhof in Arlington auf. Dort, am Grab des Unbekannte­n Soldaten, legte er gemeinsam mit seinen Vorgängern Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama einen Kranz nieder. Das Weiße Haus betrat er erst danach das erste Mal als neuer Präsident. Und dort machte er sich an die Arbeit.

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AP, GEPA, APA Thema, Seite 2–7, 13
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 ?? APA ?? Joe Biden und die neue First Lady Jill Biden kommen nach der Amtseinfüh­rung im Weißen Haus an
APA Joe Biden und die neue First Lady Jill Biden kommen nach der Amtseinfüh­rung im Weißen Haus an
 ?? AP ?? Im roten Rock und mit einer goldgestic­kten Taube auf der Brust sang Lady Gaga die US-Hymne
AP Im roten Rock und mit einer goldgestic­kten Taube auf der Brust sang Lady Gaga die US-Hymne
 ?? APA ?? Kamala Harris wird als erste US-Vizepräsid­entin angelobt
APA Kamala Harris wird als erste US-Vizepräsid­entin angelobt
 ?? AP ?? Zum Abschied ballte Donald Trump noch einmal die Faust
AP Zum Abschied ballte Donald Trump noch einmal die Faust
 ??  ?? Joe Bidens Amtseinfüh­rung geriet trotz der Pandemie und der Furcht vor einem Anschlag zum farbenpräc­htigen Spektakel
Joe Bidens Amtseinfüh­rung geriet trotz der Pandemie und der Furcht vor einem Anschlag zum farbenpräc­htigen Spektakel
 ?? AP ?? Jennifer Lopez sang auch bei der Inaugurati­on
AP Jennifer Lopez sang auch bei der Inaugurati­on
 ?? AP ?? Barack Obama begrüßt am Kapitol Kamala Harris
AP Barack Obama begrüßt am Kapitol Kamala Harris
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