Impfung: „Wir waren nicht eingebunden“
Der Chef der Österreichischen Gesundheitskasse, Bernhard Wurzer, über Fehler bei der Pandemiebekämpfung und Lehren aus der Krise.
Nein. In meinem Freundeskreis glauben alle, ich bin jeden zweiten Tag beim Minister. Das hätte ich auch gedacht. Wir waren aber in die Impfvorbereitung nicht eingebunden. Das Einzige, was wir gefragt worden sind, war, ob wir die Impfhonorare im niedergelassenen Bereich administrieren können.
Was hätten Sie beitragen können?
Wir haben zum Beispiel 135 Gebäude, die man verwenden könnte. Über die Weihnachtsfeiertage haben wir geprüft, ob wir unsere Gesundheitszentren für Impfstraßen zur Verfügung stellen könnten.
Sie haben das dem Bund angeboten, aber nichts gehört?
Wir sind nicht dazugekommen, es anzubieten. Als wir so weit waren, es anzubieten, hat man mir mitgeteilt, das machen die Länder. Also habe ich es den Ländern angeboten. Kärnten hat das Angebot angenommen und am letzten Wochenende in unserem Kundencenter sehr erfolgreich Impfungen durchgeführt, und das wird an diesem Wochenende fortgesetzt. Es gilt das Prinzip: die Ältesten zuerst.
Sonst noch ein Bundesland? Auch Tirol ist auf unser Angebot eingegangen und wird die Infrastruktur der Österreichischen Gesundheitskasse nutzen. Da hätte man schon als Gesundheitsminister sagen können, wir machen das einheitlich.
Sollten FFP2-Masken kassenfinanziert sein, als Präventionsmaßnahme?
Das ist schwierig, weil die ganze Pandemie über den Bund abgewickelt wird. Aber natürlich könnte man andenken, den Menschen die FFP2-Masken zur Verfügung zu stellen.
Wie würden Sie Impfgegnern die Impfung erklären?
Fakt ist: Die Impfung ist unsere einzige Chance, die Normalität zurückzugewinnen. Man muss die Menschen fragen, was ist die Alternative dazu? Das frage ich auch Skeptiker im Freundeskreis.
Was antworten die dann?
Gar nichts, weil es aus meiner Sicht keine Alternative gibt, außer dass wir die Republik alle drei Monate zusperren. Das wird irgendwann nicht mehr funktionieren. Es funktioniert ja jetzt schon immer weniger, weil die Bereitschaft der Menschen schwindet.
Warum schwindet sie?
Es ist ja auch schwer verstehbar: Man hat Infektionsraten von 1500 oder 2000 neuen Fällen täglich. Da fragt man sich, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass einer von den fünf Leuten, mit denen ich zusammensitze, einer von diesen 2000 ist. Es ist nicht für jeden nachvollziehbar, dass er deswegen sein ganzes Leben einschränken soll. Vielleicht hätte man in der Schule weniger Dinge lernen sollen, die man nie wieder braucht, sondern mehr Exponentialrechnungen – dann wäre klar, dass 2000 schnell ein Vielfaches sind.
Was sind die Lehren Pandemiemonaten?
Wir haben bei uns 900 Maßnahmen gesetzt. Das Allerwichtigste ist die Grundaussage: Alle getroffenen Entscheidungen werden nachher nicht einfach wieder rückgängig gemacht, es muss eine Begründung geben. So haben wir in der Krise alle Bewilligungspflichten aufgehoben. Es gibt aber Gründe, sie wieder einzuführen. Das elektronische Rezept hingegen wird bleiben. Die Telemedizin, die für die Ärztekammer zuvor völlig undenkbar schien, wird nun in einem Pilotprojekt ausprobiert – zum selben Tarif. Das wäre vor einem Jahr noch undenkbar gewesen.
Viel ist die Rede von psychischen Kosten der Krise. Wie schätzen Sie die ein?
Das wird noch massiv werden. Ein Lockdown auf kleinem Raum ist ein Megaproblem, besonders für Kinder. Deshalb bauen wir auch die Finanzierung der Psychotherapie aus.
Was ist das Hauptproblem, das Therapeuten anpacken müssen? Eines der Hauptthemen wird sein, dass wir wieder den Optimismus in die Köpfe der Leute bringen. Natürlich hat es meine Familie leichter gehabt, ich lebe im Grünen mit Garten. Was sagt eine Familie im Gemeindebau? Wir brauchen aber wieder den Optimismus und die Einstellung, dass es positiv weitergeht. Blicken wir auf andere Länder. Wie ginge es uns dort?