Die Messlatte für die Staatsspitze
Im Sommer 1968 war Rudolf Kirchschläger Österreichs Botschafter in Prag, als aus dem „Prager Frühling“ein sozialistischer Winter wurde. Tausende Menschen waren zu Österreichs Botschaft geflüchtet und hatten Asyl beantragt, denen von Kirchschläger Visa für Österreich gewährt wurden, selbst dann noch, als Außenminister Waldheim per Weisung dies untersagte. Waldheim hatte dann vor und während seiner Zeit als Bundespräsident dieses Amt nachhaltig beschädigt mit dem Umschreiben der eigenen Biografie, eine der traditionellen mitteleuropäischen Wahnideen, wie 1990 der tschechoslowakische Dichterpräsident Václav Havel feststellte. Später als Außenminister mit der Gewährung von Asyl für Opfer der Pinochet-Diktatur in Chile und
Bundespräsident lebte
Kirchschläger im Dialog mit Kanzler Kreisky und Kardinal König diese Form der Politik weiter.
Als es in seiner Amtszeit zur Häufung von Fällen mit Schmiergeld und ungeklärten Parteispenden kam – der Weltkonzern Siemens erkaufte sich Aufträge für den Neubau des Wiener Allgemeinen Krankenhauses, selbst der damalige Präsident der österreichischen Industriellenvereinigung saß in Untersuchungshaft, oder Alois Mock als Obmann der ÖVP in einem Koffer eine Millionenspende entgegennahm – da ergriff 1980 Kirchschläger das Wort, forderte bildlich gesprochen die Beseitigung dieser Sumpfblüten, die Trockenlegung solcher Sümpfe und sauren Wiesen: „Was wir brauchen, sind charakterlich starke Demokraten mit einem hohen Berufsethos. Wir müssen, wollen wir für die Zukunft bauen, unsere Demokratie im politischen ebenso wie im wirtschaftlichen Handeln glaubwürdig machen, dann wird auch die Zukunft unserer Demokratie als Denk- und Lebensform gehören.“Dieses Anforderungsprofil ist bis heute gültig.
„Rudolf Kirchschläger hat bewiesen, dass politisches, humanitäres und ethisches Handeln miteinander vereinbar sind.“
Will Österreichs politische Landschaft heute beginnend mit der Staatsspitze, vom Bundespräsidenten, Kanzler und dem Parlament abwärts, glaubwürdig bleiben, sind sie in ihrem Tun daran zu messen. Kirchschläger hat bewiesen, dass politisches, humanitäres und ethisches Handeln miteinander vereinbar sind.