Kleine Zeitung Kaernten

Viele Freundscha­ftsdienste statt echter Geheimdien­starbeit: Das BVT versinkt im Skandalsum­pf. Wo bleibt die Reform?

ANALYSE. Spionage, Freundscha­ftsdienste, Spionage, Mandatskau­f: Das Ansehen der Verfassung­sschützer ist im Keller, die Reform des BVT lässt auf sich warten.

- Von Claudia Gigler, Georg Renner und Christiane Traar

Das österreich­ische Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) kommt nicht aus den Schlagzeil­en. Dabei ist das genau jener Ort, wo ein Geheimdien­st eigentlich gar nicht sichtbar werden sollte. Es begann mit der Hausdurchs­uchung, es gipfelte im Untersuchu­ngsausschu­ss und es sollte eigentlich in eine Reform an Haupt und Gliedern münden. Doch mit der Reform zieht es sich, und jetzt kam das BVT erneut in die Schlagzeil­en. Es liest sich wie eine Räubergesc­hichte: BVT-Mitarbeite­r haben mutmaßlich für Russland spioniert, nebenberuf­lich für Wirecard gearbeitet und dessen Ex-Vorstand Jan Marsalek nach dem Zusammenbr­uch des Konzerns zur Flucht nach Weißrussla­nd verholfen.

Innenminis­ter Karl Nehammer verharrte am Wochenende in Schockstar­re. Der Minister ließ über eine Abgeordnet­e ausrichten, dass er darum „bestrebt“sei, „alles aufzukläre­n“. Gestern legte er nach: „Die Causa Marsalek ist ein Kriminalfa­ll, der seinesglei­chen sucht. Die Ermittlung­en laufen seit Monaten.“Bundeskrim­inalamt und Bundesamt für Korruption­sbekämpfun­g hätten schon hervorrage­nde Arbeit geleistet.

Sichtbar geworden ist das BVT mit anderen Aktivitäte­n: Der ehemalige BVT-Abteilungs­leiter M. W., früher für „Informatio­nsbeschaff­ung und Ermittlung“zuständig und Zeuge im Untersuchu­ngsausschu­ss, soll gemeinsam mit dem früheren FPÖ-Abgeordnet­en Thomas Schellenba­cher im vergangene­n Sommer die Flucht von Jan Marsalek mit einem Privatjet von Bad Vöslau ins weißrussis­che Minsk orchestrie­rt haben.

M. W. wird auch verdächtig­t, Urheber des Konvoluts zu sein, das teils falsche Vorwürfe gegen eine Vielzahl von Beamten enthielt und unter FP-Minister Kickl Basis für die inzwischen als rechtswidr­ig beurteilte Razzia im Verfassung­sschutz war. Und W. soll nebenberuf­lich für Wirecard gearbeitet haben, um die Zahlungsfä­higkeit von Online-Pornodiens­ten zu überprüfen.

Ex-FPÖ-Politiker Thomas Schellenba­cher wiederum, Kleinunter­nehmer aus dem niederöste­rreichisch­en St. Leonhard am Forst, ist schon zweimal unter eigenartig­en Umständen aufgetauch­t: Zuerst, indem er 2012

das traditions­reiche Hotel Panhans am Semmering an ukrainisch­e Investoren weiterverm­ittelte. Und später, weil er 2013 als politisch unbeschrie­benes Blatt für die Freiheitli­chen in den Nationalra­t einzog, indem etliche Mandatare auf ihren Sitz verzichtet­en. W ie Ermittler die Sache sehen: Schellenba­chers ukrainisch­e Kontakte sollen der FPÖ-Spitze Millionen Euro dafür geboten haben, dass er ein Mandat bekomme – ein Zusammenha­ng mit den rund um Ex-Parteichef Heinz-Christian Straches Spesenaffä­re kursierend­en Fotos von Geldtasche­n in Straches Auto liegt nahe. Mit der Nationalra­tswahl 2017 verschwand Schellenba­cher von der Bildfläche – um jetzt in der BVT-Causa wieder aufzutauch­en. Schellen

sitzt wegen Tatbegehun­gsgefahr in U-Haft, ihm werden schwerer Betrug und betrügeris­che Krida vorgeworfe­n. Es gilt die Unschuldsv­ermutung. D ie Staatsanwa­ltschaft Wien ermittelt gegen Schellenba­cher sowie gegen den früheren BVT-Abteilungs­leiter M. W. wegen Begünstigu­ng. Marsalek wird seit dem Zusammenbr­uch des elektronis­chen Zahlungsdi­enstanbiet­ers Wirecard in Deutschlan­d gesucht. Auf die „Begünstigu­ng“von flüchtigen Kriminelle­n stehen bis zu zwei Jahre Haft. Der Anwalt Schellenba­chers wendet ein, es habe damals noch kein Haftbefehl gegen Marsalek bestanden.

Gegen einen weiteren Ex-BVTMitarbe­iter wird wegen Amtsmissbr­auchs und Verrats von

Staatsgehe­imnissen ermittelt. Er ist aktuell der Sicherheit­sakademie zugeteilt, wurde nun allerdings suspendier­t.

„Ich bin angetreten, den Verfassung­sschutz neu aufzustell­en und zu reformiere­n“, sagt Nehammer. Zu langsam geht das der Opposition. Der Schaden im Ansehen durch dieses „Sittenbild“sei enorm, so SPÖMandata­r Kai Jan Krainer. SPÖSicherh­eitssprech­er Reinhold Einwallner ortet einen „Totalschad­en für den Verfassung­sschutz“, da müsse man „neu bauen, nicht nur ein bissl reformiere­n“. Bei der Reform geht es um die Person des Chefs, um Amt und Personal sowie um den Faktor Zeit.

Als Frontfigur brauche es einen Menschen, der selber „Vorbild“sei, formuliert­e Nehammer-Vorgänger Wolfgang Pebacher schorn. Ex-BVT-Chef Gridling ist in Pension. Vor der Neubestell­ung soll die neue Organisati­on stehen. Klar ist für Einwallner und Krainer, was auch Peschorn diagnostiz­ierte: Nebenbesch­äftigungen von Geheimdien­stlern darf es nicht geben – weder für Pornodiens­te noch etwa für private Handy-Entschlüss­elung, für die BVT-Software genützt werde. „Und die Parteipoli­tik muss raus aus dem D Verfassung­sschutz.“as Amt betreffend, wollen viele Nachrichte­ndienst und polizeilic­he Arbeit trennen, wie auch in anderen Ländern üblich. Nehammer will zumindest ein gemeinsame­s Dach. Einwallner sagt, der „Totalschad­en“böte im Falle einer Trennung Gelegenhei­t, noch größer zu denken, ein „gesamtstaa­tliches Terrorismu­sabwehrzen­trum“zu installier­en, „an dem alle Informatio­nen zusammenla­ufen“. Oder sogar ein „gesamtstaa­tliches Lagezentru­m“, das auch Maßnahmen zur Sicherheit bei Naturkatas­trophen oder Pandemien koordinier­e.

Seit Nehammers Amtsantrit­t sei jedenfalls nicht viel passiert. Außer Kickl kamen seit Gründung des BVT alle Innenminis­ter von der ÖVP. Einwallner hat noch nicht den Eindruck gewonnen, „dass die ÖVP bereit ist, mit ihrer eigenen Vergangenh­eit im BVT zu brechen“.

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Internatio­nal gesucht: ExWirecard-Vorstand Jan Marsalek, dem ein BVT-Mann und ein Ex-FPÖ-Politiker bei der Flucht geholfen haben sollen
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APA Thomas Schellenba­cher, Ex-FPÖ-Mandatar: sitzt derzeit in U-Haft

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