ER WAR EIN GROSSER KÜNSTLER UND GROSSER MENSCH
Groß als Künstler, groß als Mensch. Arik Brauer ist mit 92 gegangen. Aber sein Geist, sein Witz, seine Kunst und seine Phantasie bleiben.
Zwischen „Abraxas“von Santana und „Dark Side of the Moon“von Pink Floyd stand da zu Schulzeiten diese LP ohne Namen, mit bunten, unheimlichen Fabelwesen auf dem Cover, wie von einem Brueghel anno 1971 erdacht.
Arik Brauer schien allerdings ganz von der hellen Seite des Mondes zu kommen mit seinem immer warmherzigen, heiteren Wesen, auch wenn er auf dem Album – bald zu Tode gekratzt mit einem 900-Schilling-Plattenspieler – von den Schatten des Lebens sang. Vom Schulterror gegen einen „Rostigen“, der sich die roten Haare „in’ Arsch schieben“sollte. Von der Aggression gegen einen kriegsversehrten Alkoholiker, den sie „Spiritus“nannten. Von den Mitläufern, die ihre Köpfe in den Sand steckten, wenn der Wind zu wehen begann ...
„Hinter meiner, vorder meiner, links, rechts güt’s nix“: Im echten Leben war Verstecken für Arik Brauer alles andere als ein Spiel. Drei SA-Männer wollten am Tag, der in die Novemberpogrome 1938 mündete, ein Bassena-Klo benutzen, in dem sich der halbjüdische Gasslbub vor ihnen verbarg. Just eine schwer antisemitische Hausmeisterin, die ihn dort hineingeschubst hatte, rettete ihn mit dem Satz: „Des Klo is hin, geht’s aufe in ersten Stock ...!“
Helle Mondseiten? Sah Brauer in seiner Jugend wenig, auch wenn er später einmal in einem Liederabend ironisch resümierte: „A Gaudi war’s in Ottakring“.
Sein Vater wurde 1944 in einem KZ in Lettland ermordet; ihn malte er 1984 in eine kahle, kalte Winterlandschaft, mit einer gelben Blume an der Brust, die auf den ersten Blick wie ein Judenstern wirkt und in Wahrheit wie ein Sonnenherz strahlt. Brauer selbst blieb als Überlebenskünstler bis Kriegsende in Wien und trat im Mai 1945 aus einer Schrebergartenhütte, die ihm einige Wochen lang als Schlupfloch gedient hatte, mit 40 Kilogramm auf den Knochen ins Freie, in die Freiheit.
Verstecken und dabei einschauen, das wollte Arik Brauer nie wieder. Vielleicht auch darum sein Bewegungsdrang. Er fuhr mit dem Fahrrad nach Paris und retour oder längs durch Afrika.
Ich war so glücklich mit meiner Frau, mit meiner Familie, mit meiner Kunst und meinem Wienerwald. Aber es gibt eine Zeit, da lebt man, und es gibt zwei Ewigkeiten, da existiert man nicht. Letzte Worte von Arik Brauer
auf Spaziergängen mit ihm Schritt halten wollte, kam völlig aus der Puste. Und als er 2019 den von der Styria Media Group und der Kleinen Zeitung nach ihrem ehemaligen Chefredakteur benannten Fritz-CsoklichDemokratiepreis erhielt, verblüffte er die Gratulantenschar mit einem flotten Sprung auf das Podium. Dort hielt er eine flammende Rede für Menschlichkeit und Zusammenhalt: „Wir verteidigen unsere Machtpositionen nicht wie Ziegenböcke mit Beinen und Hörnern und Muskeln im Genick, sondern mit Atombomben. Und so haben wir die Demokratie erfunden.“Der laut Eigendefinition „berufliche Wunschdenker“plädierte für eine „Weltdemokratie“, nur dann könnten die Menschen zufrieden leben.
Arik Brauer, der schon ab 16 Jahren an der Akademie der bildenden Künste in Wien unter anderem bei Albert Paris Gütersloh und Herbert Boeckl studiert hatte, lernte auf einer Israel-Reise seine Frau Naomi kenWer nen, mit der er sich zunächst als Gesangsduo „Neomi et Arik Bar-Or“unter die Pariser Bohème mischte und später die Töchter Timna, Talia und Ruth bekam. Zurück in der Heimat, wurde er zu einem der Eckpfeiler der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“.
Ja, Arik Brauer war Maler und Grafiker, Bühnenbildner und Sänger, Akademieprofessor und wie sein Kollege Friedensreich Hundertwasser sogar Baugestalter. Er war ein großer Künstler, aber vor allem auch ein großer Mensch. Der ist am Sonntagabend im Kreise seiner Familie gegangen – hin in eine von zwei „Ewigkeiten, da man nicht existiert“, wie der 92-Jährige auf dem Sterbebett noch sagte.
Mazel tov in der Ewigkeit!