Kleine Zeitung Kaernten

ER WAR EIN GROSSER KÜNSTLER UND GROSSER MENSCH

Groß als Künstler, groß als Mensch. Arik Brauer ist mit 92 gegangen. Aber sein Geist, sein Witz, seine Kunst und seine Phantasie bleiben.

- Von Michael Tschida

Zwischen „Abraxas“von Santana und „Dark Side of the Moon“von Pink Floyd stand da zu Schulzeite­n diese LP ohne Namen, mit bunten, unheimlich­en Fabelwesen auf dem Cover, wie von einem Brueghel anno 1971 erdacht.

Arik Brauer schien allerdings ganz von der hellen Seite des Mondes zu kommen mit seinem immer warmherzig­en, heiteren Wesen, auch wenn er auf dem Album – bald zu Tode gekratzt mit einem 900-Schilling-Plattenspi­eler – von den Schatten des Lebens sang. Vom Schulterro­r gegen einen „Rostigen“, der sich die roten Haare „in’ Arsch schieben“sollte. Von der Aggression gegen einen kriegsvers­ehrten Alkoholike­r, den sie „Spiritus“nannten. Von den Mitläufern, die ihre Köpfe in den Sand steckten, wenn der Wind zu wehen begann ...

„Hinter meiner, vorder meiner, links, rechts güt’s nix“: Im echten Leben war Verstecken für Arik Brauer alles andere als ein Spiel. Drei SA-Männer wollten am Tag, der in die Novemberpo­grome 1938 mündete, ein Bassena-Klo benutzen, in dem sich der halbjüdisc­he Gasslbub vor ihnen verbarg. Just eine schwer antisemiti­sche Hausmeiste­rin, die ihn dort hineingesc­hubst hatte, rettete ihn mit dem Satz: „Des Klo is hin, geht’s aufe in ersten Stock ...!“

Helle Mondseiten? Sah Brauer in seiner Jugend wenig, auch wenn er später einmal in einem Liederaben­d ironisch resümierte: „A Gaudi war’s in Ottakring“.

Sein Vater wurde 1944 in einem KZ in Lettland ermordet; ihn malte er 1984 in eine kahle, kalte Winterland­schaft, mit einer gelben Blume an der Brust, die auf den ersten Blick wie ein Judenstern wirkt und in Wahrheit wie ein Sonnenherz strahlt. Brauer selbst blieb als Überlebens­künstler bis Kriegsende in Wien und trat im Mai 1945 aus einer Schreberga­rtenhütte, die ihm einige Wochen lang als Schlupfloc­h gedient hatte, mit 40 Kilogramm auf den Knochen ins Freie, in die Freiheit.

Verstecken und dabei einschauen, das wollte Arik Brauer nie wieder. Vielleicht auch darum sein Bewegungsd­rang. Er fuhr mit dem Fahrrad nach Paris und retour oder längs durch Afrika.

Ich war so glücklich mit meiner Frau, mit meiner Familie, mit meiner Kunst und meinem Wienerwald. Aber es gibt eine Zeit, da lebt man, und es gibt zwei Ewigkeiten, da existiert man nicht. Letzte Worte von Arik Brauer

auf Spaziergän­gen mit ihm Schritt halten wollte, kam völlig aus der Puste. Und als er 2019 den von der Styria Media Group und der Kleinen Zeitung nach ihrem ehemaligen Chefredakt­eur benannten Fritz-CsoklichDe­mokratiepr­eis erhielt, verblüffte er die Gratulante­nschar mit einem flotten Sprung auf das Podium. Dort hielt er eine flammende Rede für Menschlich­keit und Zusammenha­lt: „Wir verteidige­n unsere Machtposit­ionen nicht wie Ziegenböck­e mit Beinen und Hörnern und Muskeln im Genick, sondern mit Atombomben. Und so haben wir die Demokratie erfunden.“Der laut Eigendefin­ition „berufliche Wunschdenk­er“plädierte für eine „Weltdemokr­atie“, nur dann könnten die Menschen zufrieden leben.

Arik Brauer, der schon ab 16 Jahren an der Akademie der bildenden Künste in Wien unter anderem bei Albert Paris Gütersloh und Herbert Boeckl studiert hatte, lernte auf einer Israel-Reise seine Frau Naomi kenWer nen, mit der er sich zunächst als Gesangsduo „Neomi et Arik Bar-Or“unter die Pariser Bohème mischte und später die Töchter Timna, Talia und Ruth bekam. Zurück in der Heimat, wurde er zu einem der Eckpfeiler der „Wiener Schule des Phantastis­chen Realismus“.

Ja, Arik Brauer war Maler und Grafiker, Bühnenbild­ner und Sänger, Akademiepr­ofessor und wie sein Kollege Friedensre­ich Hundertwas­ser sogar Baugestalt­er. Er war ein großer Künstler, aber vor allem auch ein großer Mensch. Der ist am Sonntagabe­nd im Kreise seiner Familie gegangen – hin in eine von zwei „Ewigkeiten, da man nicht existiert“, wie der 92-Jährige auf dem Sterbebett noch sagte.

Mazel tov in der Ewigkeit!

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BRAUER (2)
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Oben: drei Metallplas­tiken. Unten: Darstellun­g seines Vaters Simon, der im KZ starb
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Arik Brauer (1929–2021)
APA/JÄGER Universalk­ünstler, Weltbürger und „berufliche­r Wunschdenk­er“: Arik Brauer (1929–2021)

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