Rendi-Wagner übt scharfe Kritik an Corona-Öffnung.
SPÖ-Chefin Rendi-Wagner wirft Regierung eine falsche Öffnungspolitik vor. Zu Ostern steuere man auf 5000 Fälle zu. Es fehle der Mut, jetzt gegenzusteuern.
Unter den Spitzenpolitikern haben Sie mit Ihrem Coronakurs – Sie sind gegen die Lockerungen – ein Alleinstellungsmerkmal. Fühlen Sie sich als Einzelkämpferin? PAMELA RENDI-WAGNER.: Österreich braucht einen konsequenten Weg der Vernunft und der Sicherheit zum Schutz der Menschen. Es ist unerheblich, ob ich die Einzige in der politischen Landschaft bin. Ich halte mich an die Fakten.
Was ist Ihr Weg?
Die breiten Öffnungen kamen zu früh, weil die Infektionszahlen noch zu hoch waren. Wir hätten lieber noch ein paar Wochen durchhalten sollen, um spätestens zu Ostern schrittweise das Land wieder zu öffnen. Auf Dauer. Die Regierung weckt falsche Hoffnungen und muss dann den Retourgang einlegen. Mit dem Auf- und Zumachen verspielt man das Vertrauen der Bevölkerung und untergräbt die Glaubwürdigkeit von Politik.
Die Regierung öffnet wider besseres Wissen?
Es war bekannt, dass die Mutationen am Vormarsch sind. Ich verstehe, dass die Regierung einem großen Druck ausgesetzt war, aber sie hatte nicht den Mut, dem Druck standzuhalten und zu tun, was notwendig gewesen wäre, um einer dritten Welle entgegenzuwirken und einen neuen Lockdown zu verhindern.
Was wäre jetzt zu tun?
Das Prinzip Hoffnung ist zu wenig, es braucht das Prinzip Handeln, und das rasch. Je länger gewartet wird, um dem Anstieg entgegenzuwirken, desto gefährlicher ist die Situation, desto länger der Bremsweg.
Wird man die Schanigärten überhaupt aufsperren können?
der vorzeitigen Öffnung im Februar steigen die Zahlen. Die Entwicklung ist brandgefährlich, denn die Zahlen sinken nicht von allein. Die Prognosen zeigen, dass wir zu Ostern über 5000 Fälle haben. Durch die falsche Öffnungspolitik steuern wir auf eine Situation wie im November zu. Das muss verhindert werden.
Sie empören sich über die Regierung, die Schritte wurden aber im Einvernehmen mit den Landeshauptleuten gesetzt, da waren auch drei rote dabei.
Ich habe großes Verständnis für die Landeshauptleute, egal ob sie aus dem Westen oder dem Osten kommen. Sie vertreten den Wunsch der Bevölkerung, und dieser heißt natürlich Öffnungen. Auch ich will öffnen. Die Frage ist nur: Wann ist der richtige Zeitpunkt, um sicher und dauerhaft öffnen zu können? Die Landeshauptleute haben eine andere Rolle als der Bund.
Müssen Sie sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, dass Sie mit Ihrem Kurs im Widerspruch zur Stimmung stehen?
Nein, im Gegenteil. Ich will eine stabile, dauerhafte Öffnung der Kulturszene, der Wirtshäuser, der Geschäfte, das heißt ohne weiteren Lockdown. Eine ehrliche Kommu
hätte gelautet: Arbeiten wir gemeinsam daran, dass die Zahlen auf eine Sieben-Tage-Inzidenz von rund 50 sinken. Halten wir drei bis vier Wochen durch, dann können wir dauerhaft öffnen. Was ist die jetzige Lage? Jeder ist tief verunsichert, niemand weiß, was die nächsten Wochen bringen. Diese Jojo-Politik, das Auf und Zu ist Gift für die Wirtschaft und verärgert viele Menschen in dem Land.
Mit Ihrem Kurs stehen Sie im Kreis der SPÖ-Granden alleine da. Haben Sie die Partei im Griff? Es gibt keine rote, türkise, grüne, pinke Corona-Strategie. Ich werde immer sagen, was ich für richtig halte. Dass Landespolitiker anderer Meinung sind, ist legitim, das verstehe ich auch. Wir sind in einem permanenten Austausch, wir haben ein gemeinsames Ziel.
Wo ist die Parteidisziplin?
Die Virusbekämpfung ist keine Frage von Parteidisziplin. Das Virus kennt auch keine Parteifarbe.
Sind Sie derzeit mehr Epidemiologin, weniger Politikerin? Es ist kein Nachteil, Expertin in einer Jahrhundertpandemie zu sein. Ich vertrete einen ganzheitlichen Ansatz und habe die Öffnung von KinderSeit gärten und Schulen gefordert. Der gesellschaftliche Nachteil geschlossener Schulen ist größer als der epidemiologische Nutzen.
Kärntens Landeshauptmann Kaiser fordert, dass Hermagor so wie Schwaz durchgeimpft wird. Ist es eine gute Idee?
Die Regierung hat die Daten und muss mit Experten beraten, was zu tun ist. Generell sage ich: Ganz Österreich wartet seit Monaten auf Impfstoffe. Über 80-Jährige warten immer noch. Man sollte mit Sonderkontingenten zurückhaltend sein. Es braucht dringend mehr Impfstoff für ganz Österreich.
Was wäre Ihre Impfstrategie als Gesundheitsministerin?
Ich hätte eine so große Impfaktion rechtzeitig vorbereitet in enger Abstimmung mit den Ländern, dem Heer, Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz oder Samariterbund. Man hätte es zentral abwickeln sollen – und nicht den Fleckerlteppich mit neun Impfstrategien.
Wer wäre bei Ihnen zuerst drangekommen? Senioren oder medizinisches Personal?
Man hätte bei den über 80Jährigen anfangen sollen, sie haben das Risiko, an Covid zu sterben, dann das medizinische Personal. Entscheidend sind gute Planungen, keine falschen Hoffnungen. Der Kanzler versprach, dass im Jänner alle über 80-Jährigen durchgeimpft sind. Jetzt ist Anfang März, viele warten immer noch.
Wie ist Ihr Verhältnis zum Kanzler?
Ich habe ein intaktes Gesprächsverhältnis mit ihm. Das ist mir wichtig. Gemeinsam an sachlichen Lösungen zu arbeiten, wie etwa bei der
Testnikation
strategie, ist wichtig. Aus so einer Situation kommen wir nur gemeinsam heraus. Mein Eindruck ist, dass er da auch gelernt hat.
Im Juni ist Parteitag. Sie treten an?
Ja, natürlich.
Sie sind die Spitzenkandidatin bei der nächsten Wahl?
Das ist mein Plan.
Soll die SPÖ 2022 einen Hofburg-Kandidaten aufstellen?
Wir sollten warten, ob der
Bundespräsident, den ich sehr schätze, noch einmal antritt. Die Frage stellt sich jetzt noch nicht.
Hat Corona einen frauenpolitischen Backlash erzeugt?
Die Frauen sind die großen Verliererinnen der Pandemie, siehe die Lage am Arbeitsmarkt. Die Doppeltund Dreifachbelastung durch Homeoffice, Homeschooling, Haushalt betrifft vor allem Frauen und hat einen gewissen frauenpolitischen Backlash erzeugt.