Kleine Zeitung Kaernten

LEITARTIKE­L

UteBaumhac­kl:Esisthöchs­teZeit,dass#MeTooeinen­ächsteWell­eerlebt.

- Ute Baumhackl ute.baumhackl@kleinezeit­ung.at

Ein Wiener Medienmana­ger belästigt eine Mitarbeite­rin sexuell. Als sie ihn zur Rede stellt, entlässt er sie. Sie klagt, er kontert mit einer Verleumdun­gsklage. Erst jetzt wird es richtig absurd: Als die Richterin hört, dass sich in der Belegschaf­t ähnliche Beschwerde­n gegen den Boss schon länger häuften, fragt sie die nun Angeklagte, warum sie nicht einfach gekündigt habe – „wenn man doch weiß, wie es in dem Unternehme­n zugeht“.

Die Story aus dem „Standard“klingt, als sei sexuelle Belästigun­g normal. Und sie klingt, als habe es #MeToo, die seit 2017 weltweit geführte Debatte über sexuelle Belästigun­g und Übergriffe am Arbeitspla­tz, gar nie gegeben. Routiniert deponiert die Aussage der Richterin die Verantwort­ung für einen Übergriff wieder einmal bei dem mutmaßlich­en Opfer. Diesen Mechanismu­s glaubte man schon öfters überwunden, aber man muss sich keine Sorgen um ihn machen, er läuft wie geschmiert. Auch in der Justiz.

Und haben wir nicht eh genug andere Probleme? Die dritte Welle der Pandemie bahnt sich an; einmal mehr überlagert das die großen Themen, die uns vor Corona bewegt haben: Klimakrise, Migration, Neonationa­lismus und ja, auch #MeToo. Dennoch scheint sich auch in der globalen Übergriffs­debatte eine nächste Welle anzubahnen, und die passt, so traurig das klingen mag, perfekt in unsere Zeit. Prominente wie die Schauspiel­erin Evan Rachel Wood und die Musikerin FKA twigs haben angefangen, jene Quälereien öffentlich zu machen, denen ihre ExPartner (Marilyn Manson bzw. Shia LaBoeuf ) sie ausgesetzt haben; fokussiert #MeToo also nach sexueller Aggression im Beruf nun auf psychische, körperlich­e, sexuelle Gewalt in Beziehunge­n, passt fast zu gut in unsere Gegenwart: Einem Bericht der EU-Kommission zufolge führt die Pandemie europaweit zu mehr häuslicher Gewalt gegen Frauen, in Österreich steigt seit Jahren die Femizidrat­e. Dass sich die #MeToo-Debatte da traditione­ll stark an den

Wortmeldun­gen Prominente­r orientiert, ist nicht frivol: Gesellscha­ftsverände­rung braucht Öffentlich­keit, und Übergriffe und Gewalterfa­hrungen öffentlich zu machen, fällt in Beziehunge­n noch weit schwerer als im Berufslebe­n. Ein berühmter Mensch, der solche Erfahrunge­n teilt, ermutigt. Auch, wenn im Beziehungs­leben Aussage gegen Aussage steht und es bisher stets mehrere, wenn nicht Dutzende Zeuginnen brauchte, um sexuelle Aggressore­n wie Harvey Weinstein, Bill Cosby und nun Dieter V Wedel vor Gericht zu stellen. on denen verdient jeder, natürlich, einen fairen Prozess, ohne Vorverurte­ilungen. Im globalen SocialMedi­a-Phänomen #MeToo wollen manche vor allem digitales Lynching sehen. Damit muss man sich auseinande­rsetzen. Und doch: #MeToo hat mit dem bequemen Schweigen aufgeräumt, mit dem die Täter so lange so gut lebten. Und dem manchmal sogar die heimische Justiz den Vorzug zu geben scheint. Man erlebt ja, siehe oben, auf welchem Niveau die Debatte bei uns nach wie vor geführt wird.

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