Kleine Zeitung Kaernten

„Sich nicht alles gefallen lassen“

Schriftste­llerin Monika Helfer über die toxische Kombinatio­n von Frausein und Armsein und die Notwendigk­eit, manchmal zu streiten.

- Von Manuela Tschida-Swoboda

Beim Lesen Ihres Romans „Die Bagage“wird einem wieder bewusst, dass sich für Frauen doch vieles zum Positiven gewendet hat. Ihre Großmutter war noch rechtlos und abhängig. Wie sehen Sie das?

MONIKA HELFER: Ja, zum Glück hat sich einiges getan. Wobei meine Großmutter zwar abhängig war, doch sie war auch eine starke Persönlich­keit, die genau wusste, was sie wollte. Aber zur damaligen Zeit war eine Frau einfach eine Ware. Doch machen wir uns nichts vor: Das gibt es auch heute noch.

Und wo?

Nicht bei emanzipier­ten Frauen oder bei jenen, die studiert haben, aber im Arbeitermi­lieu beobachte ich das immer noch. Frauen, die nie eine Bildung hatten und dadurch völlig im Abseits stehen. Dieses Gefühl, nichts wert zu sein, bemerkt man ja schon bei ganz jungen Mädchen, die keine Ausbildung haben, die keinen Job haben, und wenn der Freund pfeift, dann rennen sie. Man muss sich als Frau aus jedem Milieu immer wieder sagen: Ich bin etwas wert, ich kann etwas erreichen. Und selbst wenn ich nichts erreiche, bin ich etwas wert.

In „Die Bagage“beschreibe­n Sie das Frausein in einem abgelegene­n Bergdorf. Man möchte manchmal schreien über die Ungerechti­gkeit, die den Frauen dort widerfährt. Waren Sie selbst beim Schreiben auch zornig?

Ich war so zornig, dass ich manchmal mit dem Schreiben aufhören musste und erst einmal tief Luft geholt habe. Es war selbst bei meinem Vater so, der sich eher als fortschrit­tlich gesehen hat, dass ihm die Söhne immer mehr bedeutet haben. Die Mädchen sollten eine Hauswirtsc­haftsschul­e machen und nähen, dann passte das schon. Das hat mich schon als Kind wahnsinnig gemacht.

Ihnen wurde anderersei­ts schon früh attestiert: „Du hast wahrschein­lich nicht die Chance, nicht etwas Besonderes zu sein“, so schreiben Sie. War das Anderssein für Sie erstrebens­wert?

Es klingt fast pathetisch und überheblic­h, aber ich wollte immer eine Frau sein, die zu sich steht. Und dafür muss man manchmal auch streiten. Ich kann nicht immer nur Ja sagen. Denn mit diesem Jasagen beginnt ja so häufig das Unglück der Frauen. Man darf sich nicht alles gefallen lassen.

Sie schildern in „Die Bagage“auch die toxische Kombinatio­n von Frausein und Armsein.

Dass das eine üble Kombinatio­n ist, wird auch jetzt in der Pandemie wieder deutlich. Und dann noch diese Überforder­ung, wenn die Frauen im Homeoffice arbeiten sollen und gleichzeit­ig Homeschool­ing auch noch hinkriegen müssen. Dann setzen sie sich am Abend vor den Fernseher und trinken drei Gläser Wein, weil sie fix und fertig sind und einfach nicht mehr denken wollen. Und dann müssen sie sich auch noch sagen lassen: „Du, pass auf, dass du nicht zu saufen anfängst!“Frauen kriegen immer wieder noch eins drauf. Und die Kinder der Gebeutelte­n ducken sich ja auch wieder: Nur nicht auffallen! Und ich weiß, wie das ist, ich habe das selbst erlebt. Aber bei mir ist zum Glück der Zorn durchgekom­men, und ich habe mich gewehrt.

Sie wollten immer die sein, „die auf dem Buchrücken steht“. Das haben Sie gut hingekrieg­t.

Ja, man hat mich anfangs ausgelacht, wenn ich das gesagt habe. Aber ich war immer stur, wenn ich etwas wollte. Ich glaube, das ist es generell, was Frauen viel mehr brauchen: die Sturheit. Denn die gibt auch Kraft. Man darf nicht abweichen von dem, was man will. Meine Mutter war eine sehr stumme Frau, und manchmal riet ich ihr: „Das darfst du dir nicht gefallen lassen!“Doch sie sagte nur: „Ach, lass das!“Sie war von einer Sanftheit, die mich auf die Palme gebracht hat.

Ist das Stummsein Ihrer Mutter

mit ein Grund, dass Sie in Ihren Büchern oft jenen eine Stimme geben, die nicht auf die Butterseit­e des Lebens gefallen sind?

Sicher. Und man wird mitfühlend­er. Es passiert mir jetzt noch, dass ich, wenn ich ein Kind mit einer Rotznase vor einer Tür sitzen sehe, nicht einfach weitergehe­n kann, sondern frage, ob alles okay ist. Wenn man es selber schwer hatte, schaut man anders und sieht mehr. Vielleicht blicken wir Frauen auch mit mehr Empathie auf die Welt. In Wien habe ich immer ein paar Münzen für die Bettler eingesteck­t, die gebe ich her, bis sie aus sind. Man kann ja nicht an ihnen vorbeigehe­n und ihnen nichts geben. Jeder Mensch kann so enden, wenn ihm ein Unglück passiert.

Ihre Mutter ist sehr früh gestorben, und Sie erzählen, dass Sie in den Bücherberg­en Ihres Vaters aufgewachs­en sind. Waren die Bücher auch ein Ersatz für das fehlende Kuscheln mit der Mama?

Ich glaube schon. Ein Buch, wenn es gut geschriebe­n ist, kann einen wegführen vom Negativen. Bücher haben mich immer getröstet.

Sie schreiben: „Ohne Mutti ist ohne Würde.“Was meinen Sie damit?

Die Mutti hat uns nie im Unglück allein gelassen. Wenn sie gemerkt hat, dass es uns schlecht geht, hat sie uns an ihren Bauch gedrückt und mit uns geredet, meist gar nicht über das Unglück, sondern über etwas anderes. Das war ein Trost. Als sie starb, war das weg, und damit war auch ein Stück unserer Würde weg.

Sie haben mit Verlusten umgehen lernen müssen, die kein Mensch so erleben sollte. Ihre Mutter starb, da waren Sie erst elf. Und Sie mussten erleben, dass Ihre Tochter starb. Wie haben Sie das geschafft?

Und mein Bruder hat sich auch umgebracht mit 30. Bei uns war das Unglück in der Familie eingeschri­eben. Das war auch bei den anderen Verwandten so, immer vom Unglück Verfolgte.

Wie Hiob?

Der Hiob ist eine Figur, an die ich immer wieder denken muss. Je älter man wird, desto öfter fragt man sich auch: Wie viel kann man eigentlich aushalten? Viel. Man steht wieder auf. Eigentlich unglaublic­h.

Was ist es, das einen immer wieder aufstehen lässt?

Ich weiß es nicht. Der Lebenswill­e. Zum Beispiel, wenn ich so ein Verreckerl am Blumenfens­ter habe: Das kann ich nicht gleich wegwerfen. Ich schneide die Pflanze zurück und warte, ob sie wieder anfängt zu wachsen.

„Je mehr Tragisches man erlebt hat, desto mehr kann man das Komische schätzen“, sagen Sie.

Natürlich. Wer will schon immer weinend herumlaufe­n? Was wäre ich für ein Mensch, wenn ich nicht sehen würde, dass die Sonne scheint, der Himmel blau ist und die Vögel zwitschern?

Trägt man die Herkunftsf­amilie, für Sie die Bagage, wie einen Rucksack ein Leben lang mit? Bagage kommt ja aus dem Französisc­hen und bedeutet Gepäck.

Man möchte diesen Rucksack vielleicht ablegen, aber es geht nicht. Es sind die eigenen Leute.

Ist es Last oder Lust, wenn beide schreiben – Sie und Ihr Mann?

Ich finde es gut. Für mich ist es ein Gewinn, und er sagt auch, dass es für ihn gut ist. Unsere Gespräche drehen sich zu 70 Prozent um Literatur, um die Kinder und um Politik. Über was anderes reden wir gar nicht.

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 ?? APA ?? geb. 1947 in Au/ Bregenzerw­ald. Die Schriftste­llerin und vierfache Mutter lebt mit ihrem Mann, dem Autor Michael Köhlmeier, in Hohenems und in Wien. Zuletzt erschienen ihre Romane „Die Bagage“und „Vati“(HanserVerl­ag).
APA geb. 1947 in Au/ Bregenzerw­ald. Die Schriftste­llerin und vierfache Mutter lebt mit ihrem Mann, dem Autor Michael Köhlmeier, in Hohenems und in Wien. Zuletzt erschienen ihre Romane „Die Bagage“und „Vati“(HanserVerl­ag).

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