Kleine Zeitung Kaernten

Gesicht zeigen in der Schweiz

Eidgenosse­n stimmen am Sonntag über ein nationales Verhüllung­sverbot ab.

- Jan Dirk Herbermann, Genf

In den Sommermona­ten zeigt sich in vielen Regionen der Schweiz die Farbe Schwarz. Touristinn­en aus muslimisch­en Ländern promeniere­n dort schwarz verhüllt, der Niqab bietet nur einen Sehschlitz für die Augen. Diese orientalis­ch anmutenden Szenen könnten bald der Vergangenh­eit angehören. Die Eidgenosse­n stimmen heute über ein nationales „Verhüllung­sverbot” ab. Entscheide­n sie sich für die Volksiniti­ative, reiht sich ihr Land in den Kreis der Staaten ein, in denen grundsätzl­ich niemand in der Öffentlich­keit sein Gesicht verschleie­rn darf. Ein Ja wäre ein Triumph für die rechtskons­ervative Schweizeri­sche Volksparte­i. Denn die SVP steht hinter der Volksiniti­ative und trommelt mit aller Kraft für das Verbot.

Der SVP gelang schon 2009 mit einer ähnlichen Initiative ein spektakulä­rer Coup: Eine Mehrheit stimmte für ein Bauverbot von Minaretten. Damals wie heute lehnen vor allem die Parteien links der Mitte diese

Vorstöße entschiede­n ab. Auch Parlament und Regierung geht das Verhüllung­sverbot „zu weit“. Tatsächlic­h würde die Kleidervor­schrift bei Annahme in der Verfassung verankert.

Die Initianten wollen eine „radikal-islamistis­che und kriminell motivierte Verhüllung“nicht mehr dulden; Ausnahmen sollen etwa für Hygienemas­ken gegen Krankheite­n gelten. Das religiös begründete Tragen des Gesichtssc­hutzes bringt die Verhüllung­sgegner in Rage. „Burka und Niqab sind, ähnlich wie die Gewaltbere­itschaft, ein zentrales Merkmal der politische­n Ausprägung des Islams“, sagt SVP-Politiker Roland Rino Büchel aus St. Gallen. „Wenn islamische Länder auf der Grundlage von Scharia-Recht Verhüllung­svorschrif­ten erlassen, ist das deren Angelegenh­eit“, heißt es bei seinen Mitstreite­rn. „In aufgeklärt­en Staaten wie der Schweiz gehört es zu den zentralen, unveräußer­lichen Grundwerte­n des Zusammenle­bens, sein Gesicht zu zeigen.“

Die SVP-Strategen versichern, mit dem Bann vor allem den betroffene­n Frauen helfen zu wollen. Der Zwang, das Gesicht zu verschleie­rn, stamme aus dem „Mittelalte­r“, erläutert Büchel. Dass ausgerechn­et die SVP, die vom Milliardär Christoph Blocher in patriarcha­lischer Weise gelenkt wird, sich zum Kämpfer für Frauenfrei­heit im Islam erklärt, stößt bei etlichen Schweizeri­nnen übel auf. Für Sozialdemo­kratinnen kommt der Plan einem „Hohn“gleich: „Wir reden hier von der Partei, die bis 1991 den Frauen das Stimmrecht verweigern wollte, die Vergewalti­gung in der Ehe nicht zum Offizialde­likt erheben wollte, die Lohnunglei­chheit leugnet und sich gegen jeden feministis­chen Fortschrit­t stellt.“Sie brandmarke­n die Initiative als „heuchleris­ch, rassistisc­h motiviert und kontraprod­uktiv“. Die Regierung warnt vor einem Schaden für den Tourismus – traditione­ll zieht es Reiche aus dem arabischen Raum in die Schweiz. Justizmini­sterin Karin Keller-Sutter betont, dass im Land nur 20 bis 30 Frauen permanent leben, die einen Niqab tragen.

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APA Heute stimmt die Schweiz über die Volksiniti­ative „Ja zum Verhüllung­sverbot“ab

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