Gesicht zeigen in der Schweiz
Eidgenossen stimmen am Sonntag über ein nationales Verhüllungsverbot ab.
In den Sommermonaten zeigt sich in vielen Regionen der Schweiz die Farbe Schwarz. Touristinnen aus muslimischen Ländern promenieren dort schwarz verhüllt, der Niqab bietet nur einen Sehschlitz für die Augen. Diese orientalisch anmutenden Szenen könnten bald der Vergangenheit angehören. Die Eidgenossen stimmen heute über ein nationales „Verhüllungsverbot” ab. Entscheiden sie sich für die Volksinitiative, reiht sich ihr Land in den Kreis der Staaten ein, in denen grundsätzlich niemand in der Öffentlichkeit sein Gesicht verschleiern darf. Ein Ja wäre ein Triumph für die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei. Denn die SVP steht hinter der Volksinitiative und trommelt mit aller Kraft für das Verbot.
Der SVP gelang schon 2009 mit einer ähnlichen Initiative ein spektakulärer Coup: Eine Mehrheit stimmte für ein Bauverbot von Minaretten. Damals wie heute lehnen vor allem die Parteien links der Mitte diese
Vorstöße entschieden ab. Auch Parlament und Regierung geht das Verhüllungsverbot „zu weit“. Tatsächlich würde die Kleidervorschrift bei Annahme in der Verfassung verankert.
Die Initianten wollen eine „radikal-islamistische und kriminell motivierte Verhüllung“nicht mehr dulden; Ausnahmen sollen etwa für Hygienemasken gegen Krankheiten gelten. Das religiös begründete Tragen des Gesichtsschutzes bringt die Verhüllungsgegner in Rage. „Burka und Niqab sind, ähnlich wie die Gewaltbereitschaft, ein zentrales Merkmal der politischen Ausprägung des Islams“, sagt SVP-Politiker Roland Rino Büchel aus St. Gallen. „Wenn islamische Länder auf der Grundlage von Scharia-Recht Verhüllungsvorschriften erlassen, ist das deren Angelegenheit“, heißt es bei seinen Mitstreitern. „In aufgeklärten Staaten wie der Schweiz gehört es zu den zentralen, unveräußerlichen Grundwerten des Zusammenlebens, sein Gesicht zu zeigen.“
Die SVP-Strategen versichern, mit dem Bann vor allem den betroffenen Frauen helfen zu wollen. Der Zwang, das Gesicht zu verschleiern, stamme aus dem „Mittelalter“, erläutert Büchel. Dass ausgerechnet die SVP, die vom Milliardär Christoph Blocher in patriarchalischer Weise gelenkt wird, sich zum Kämpfer für Frauenfreiheit im Islam erklärt, stößt bei etlichen Schweizerinnen übel auf. Für Sozialdemokratinnen kommt der Plan einem „Hohn“gleich: „Wir reden hier von der Partei, die bis 1991 den Frauen das Stimmrecht verweigern wollte, die Vergewaltigung in der Ehe nicht zum Offizialdelikt erheben wollte, die Lohnungleichheit leugnet und sich gegen jeden feministischen Fortschritt stellt.“Sie brandmarken die Initiative als „heuchlerisch, rassistisch motiviert und kontraproduktiv“. Die Regierung warnt vor einem Schaden für den Tourismus – traditionell zieht es Reiche aus dem arabischen Raum in die Schweiz. Justizministerin Karin Keller-Sutter betont, dass im Land nur 20 bis 30 Frauen permanent leben, die einen Niqab tragen.