Das Vertrauen in die Regierenden sinkt deutlich. Entstehen jetzt neue Mehrheiten?
Polittaktisch ist die ÖVP trotz Umfrageverlusten in einer bequemen Position – dank der FPÖ, mit der sonst niemand will.
Immer, wenn die Regierungsparteien in den Sonntagsoder Vertrauensumfragen verlieren – und das tun sie derzeit ziemlich deutlich –, taucht in der linken Reichshälfte recht verlässlich die Idee einer Regierung ohne ÖVP-Beteiligung auf: eine Koalition SPÖ-GrüneNeos als Mitte-links-Projekt, die die Volkspartei nach fast 35 Jahren in der Regierung (ihre Zeit dort seit 1986 wurde nur durch die parteilose Regierung Bierlein 2019/20 ein halbes Jahr unterbrochen) auf die Oppositionsbänke verbannt.
Zuletzt wurden solche Schlachtpläne hinter vorgehaltener Hand anlässlich der schlechten Stimmung in der türkis-grünen Koalition wieder lauter: Nicht nur die zähe Krisenbekämpfung zehrt an den Nerven und sorgt für Misstrauen unter den Koalitionspartnern, in den vergangenen Wochen kamen mit dem Streit um die Abschiebung von Kindern, den Korruptionsermittlungen gegen ÖVP-Politiker und -nahe Beamte sowie den aufgetauchten Chatprotokollen gleich eine Vielzahl an Konfliktfällen auf.
Dass die Grünen dennoch treu zur Koalition stehen, hat – neben ihren eigenen Umfragewerten, die ebenfalls nicht berühmt auf eine Mehrheit von klar über 50 Prozent der Stimmen – freilich in wechselnden Zusammensetzungen: Vor der Übernahme der Partei durch Sebastian Kurz Anfang 2017 lag die FPÖ öfters über 30 Prozent, die ÖVP nur noch um die 20; in einer aktuellen Umfrage läge die ÖVP bei 36, die FPÖ nur bei etwa 15 Prozent.
„Das heißt nicht, dass Wählerinnen und Wähler nur zwischen diesen beiden Parteien wechseln“, sagt Ennser-Jedenastik gegenüber der Kleinen Zeitung, in Summe sei dieses „Lager“aber „sehr stabil“.
Für die übrigen Parteien bleibt damit nur ein Stimmanteil unter 50 Prozent – und damit nur geringe Chancen auf eine linksliberale Koalition: „Wer das erreichen will, muss Stimmen von VP/FP holen“, sagt der Politikwissenschaftler:
„Ich würde bezweifeln, dass ein ,Lagerwahlkampf‘ dazu taugt.“
Was die Position der ÖVP angesichts dieser Ausgangslage so stark macht, ist die Weigerung aller anderen Parteien, eine Zusammenarbeit mit der FPÖ in Betracht zu ziehen: Solange das so bleibt (und eine Änderung dieser „Vranitzky-Doktrin“in der SPÖ ist nicht in Sicht, geschweige denn bei den Grünen, die der FPÖ praktisch diametral gegenüberstehen) und sich die „Lager“links und rechts der Mitte in der Bevölkerung nicht verschieben, lebt die ÖVP in der polittaktisch relativ komfortablen Lage, dass ohne sie keine Mehrheit möglich ist.
der Vertrauensverlust in der Bundesregierung weiter: Im APA/OGMVertrauensindex bekommen die türkis-grünen Regierungsmitglieder schlechtere Werte. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), seit Jahren Abonnent auf Spitzenplätze in der Vertrauenspyramide, stürzt auf Platz vier ab, er liegt dort gleichauf mit der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ). Beliebtestes Regierungsmitglied ist der noch frische Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP).
Angeführt wird das Ranking von Bundespräsident Alexander Van der Bellen.