Schöne neue Welt
Die schlimmste Phase der Pandemie mag bald vorbei sein, was Coronaleugner freuen wird. Den Impfpass wird man künftig mitführen wie Führerschein, E-Card, Diskontkarte.
Seit mehr als fünf (!) Monaten sind wir durchgehend im Lockdown, gelten Ausgangsbeschränkungen, sind Restaurants, Cafés, Kinos, Theater, Hotels geschlossen – abgesehen von Bars, Fitnessstudios, Fußballstadien, Tanzschulen, die schon länger zu sind. Seit sechs Monaten leben Oberstufenschüler im Ausnahmezustand, sitzen stundenlang vor dem Computer – nicht, um sich in Games zu verlieren, sondern um zu lernen. Und es gibt immer noch Pflegeheime, wo man seine Angehörigen nur ein Mal pro Woche für 20 Minuten besuchen darf. Und dann wundern wir uns, wenn die Leute die Wände hochgehen?
Zugegeben, die Politik gibt auch kein gutes Bild ab. Corona ist Chefsache, doch die Hauptakteure sind abgetaucht. Der Gesundheitsminister ist krank, der Kanzler erschöpft sich in Durchhalteparolen, träumt von Öffnungen (wer träumt nicht davon?), vom Sommer. In dieser Phase des politischen CoronaInterregnums haben die Landeshauptleute das Heft in die Hand genommen, die Intensivstationen scheinen ihrem Schicksal überlassen zu sein.
michael.jungwirth@kleinezeitung.at
Bei der Debatte über Impffortschritte gilt ohnehin die Devise: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.
Heute werden die Coronagegner wieder in die Bundeshauptstadt strömen und Parolen gegen die Regierung skandieren – wäre es nicht angemessen, gegen das heimtückische Virus auf die Straße zu gehen? Die Demos als simplen Aufmarsch von Obskuranten abzutun, wäre zu billig. Viele Bürger plagen Existenzängste, und wenn das Vertrauen in die Politik erschüttert ist, finden Demagogen schnell Gehör. Wenn man jemandem Vorwürfe machen darf, dann den Wortführern, die vielfach wider besseres Wissen Behauptungen in die Welt setzen, die an Absurdität nicht zu überbieten sind.
Dass die Welt nach Corona eine andere sein wird, liegt auf der Hand. Der Traum der Entschleunigung dürfte ausgeträumt sein, eher schlittern wir in neue Zwanzigerjahre. Niemand weiß, ob wir nach dem Sommer tatsächlich aus dem Schneider sind. Was hilft uns eine „Impffestung Europa“, wenn uns eine Mutante aus einem ungeimpften Teil der Welt heimsucht? Ohne globales Durchimpfen, ohne Solidarität mit den Ärmsten der Armen keine Entwarnung hierzulande.
Die schlimmste Phase der Pandemie mag im Herbst vorbei sein, die Schattenseiten von Corona werden uns lange begleiten. Den Impfpass werden wir künftig genauso mitführen wie Führerschein, E-Card, Diskontkarte – und dann digital oder haptisch (als Alternative einen Test- oder Antikörpernachweis) vorlegen, wenn wir das Flugzeug besteigen, ins Kino, Theater oder ins Stadion gehen. Schöne neue Welt. ronischerweise wird Corona künftig in unserem Leben jenen Platz einnehmen, den die Coronaleugner diesem Virus stets zugewiesen haben: jenen als normale Krankheit wie eine Grippe. Freilich nach einer nobelpreiswürdigen Leistung von Wissenschaftlern, die uns die Impfstoffe beschert haben.
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