Der ewige Prinz
Der britische Prinzgemahl war nie um einen flotten Spruch verlegen, oft löste er sogar Empörung aus. Aber er stand stets loyal im Dienst Ihrer Majestät, seiner Ehefrau Elizabeth. Nun ist der Herzog von Edinburgh wenige Wochen vor seinem 100. Geburtstag ge
Er ist 73 Jahre lang „der Mann an ihrer Seite“gewesen. Ihre immerwährende „Kraft und Stütze“hat ihn seine Frau einmal genannt. Seine Kinder kannten ihn als den spröden Vater, der seine Aufgabe vor allem darin sah, „die Firma“zusammenzuhalten. Der sich, auf seine Art, für den Erfolg der Windsors und das Ansehen Ihrer Majestät verantwortlich fühlte – obwohl er sich des Gefühls nicht erwehren konnte, dass er „nichts als eine verdammte Amöbe“war.
Prinz Philip, der wenige Wochen vor seinem 100. Geburtstag starb, hatte seinen festen Platz in London schon seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Als Herzog von Edinburgh und Gemahl Elizabeths II. wurde er ganzen Generationen von Briten zur vertrauten Figur. Für die meisten seiner Landsleute gehörte er auf der öffentlichen Bühne schlicht zum Stammpersonal der „Truppe“. Er war immer und überall: Als markante Gestalt, händeschüttelnd, plaudernd und freigebig mit spitzen Bemerkungen, wird ihn die Nation in Erinnerung behalten. Bis vor vier Jahren versah er, als „erster Lehensmann“der Queen, seinen Job im Dienst der Krone. Elizabeth dankte ihm dafür mit den Worten, sie und das ganze Königreich schuldeten Philip „mehr, als er je für sich in Anspruch nehmen würde oder als man je erfahren wird“.
Kurios waren schon seine Anfänge. Angeblich wurde er auf einem Küchentisch auf der Insel Korfu geboren. Seine Mutter war Prinzessin Alice von Battenberg. Sein Vater, ebenfalls von königlichem Geblüt, war Prinz Andreas von Griechenland, ein Bruder Konstantin I., des damaligen Hellenen-Königs. Und er selbst, Philip, war der Sechste in der griechischen Thronfolge. Allerdings nur für die Dauer eines Jahres. Dann musste seine Familie, in den damaligen türkisch-griechischen Tumulten, fliehen. In einer Apfelsinenkiste kam „Phil the Greek“(der eigentlich eher dänischer und deutscher als griechischer Abstammung war) im Exil in Frankreich an.
Von da an ging es rasch bergab mit dem Familienleben. Binnen weniger Jahre fand sich der Junge auf sich allein gestellt. Die Mutter wurde als schizophren diagnostiziert und, gegen ihren Willen, in ein Sanatorium in der Schweiz eingeliefert. Der Vater, zum Glücksspieler geworden, setzte sich mit seiner Geliebten nach Monaco ab. Die ältesten Schwestern gingen Ehen ein mit Nationalsozialisten. Um Philip mochte sich niemand kümmern. Ihn schickte man erst ins süddeutsche Salem und dann ins schottische Gordonstoun, in ein Internat ausgesprochen spartanischer Art.
Aber Selbstmitleid, oder zu viel an Gefühlen, verbot sich der so unsanft Herumgeschubste. „Was sollte man sich da groß beklagen?“, fragte er einmal. „Es war nichts Besonderes. Ich habe einfach mein Leben gelebt.“Nach der Schule schloss Philip sich der Kriegsmarine an – und traf auf seine Zukünftige, als King George VI. mit seinen Töchtern die Marineschule in Dartmouth mit einem Besuch beehrte. Der fesche blonde Royal-Navy-Leutnant war ausersehen, die Prinzessinnen Elizabeth und Margaret durch das College zu eskortieren. Schließlich war er, über Queen Victoria, um ein paar Ecken herum mit ihnen verwandt. Die Geschichte, die sich entwickelte, ist unvergessen auf der Insel. Wie die kleine Elizabeth sich in Philip verliebte. Wie sie im zarten Alter von 13 in einen Briefwechsel mit dem fünf Jahre älteren Cousin trat. Wie in den folgenden Jahren in ihr die Überzeugung
in Philip den rechten Kandidaten für den Platz an ihrer Seite gefunden zu haben. Wie „Phil“1946 bei König George um die Hand von „Lilibet“anhielt. Und wie beider Hochzeit 1947 nach den Entbehrungen des Krieges Großbritannien einen ersten gesellschaftlichen Höhepunkt bescherte. „Einen Spritzer Farbe“nannte Winston Churchill das. Nicht dass diese Ankunft Philips bei Hofe problemlos über die Bühne gegangen wäre. Immerhin hatten die Eltern der jungen Kronprinzessin gewisse Bedenken, was die Eignung des Freiers aus der Obstkiste betraf. Zu griechisch, dänisch, deutsch kam ihnen Philip vor. Zu ungehobelt eben für eine so gehobene Position. „Ein englischer Gentleman“sei er „nun wirklich nicht“, klagten Höflinge und Diplomaten. „Ungebildet“, „unzivilisiert“, halt „zu teutonisch“.
Auch seine Fähigkeit zur Treue wurde schon damals in Zweifel gezogen. War der heimatlose Marineoffizier nicht als Lebemann bekannt, der – wie sein unseliger Vater – gern spielte und den Ladys schöne Augen zu machen verstand? Später, während seiner Ehe, wollten die Gerüchte nicht verstummen, dass Philip mit allerlei prominenten Damen „etwas hatte“. Die königstreue Presse behalf sich mit Kommentaren, in denen von „intensiven Freundschaften“mit gewissen weiblichen Bekannten die Rede war. Auch wenn Vertraute des Paares zeitweise die Befürchtung äußerten, dass der Haussegen bei den Windsors schief hing und bittere Worte gefallen seien, schien das den Zusammenhalt langfristig nicht zu schwächen. Elizabeths und Philips Ehe mochte romantische Ursprünge haben. Aber sie gründete auf Loyalitäten anderer Art. „Sie haben sich immer aufeinander gestützt“, beschrieb es Lady Prue Penn, eine lebenslange Freundin der Königin. In der Tat nahm Philip seine Rolle in der Familie und in der Öffentlichkeit so ernst, wie es ihm seine sonst eher widerborstige Natur erlaubte. Bereitreifte, willig trottete er, nachdem Elizabeth 1952 Königin geworden war, zwei Schritte hinter „seiner“Queen her, wie es das Protokoll vorsah.
Ein Schock für ihn war zweifellos, dass mit der Thronfolge seine just in Fahrt gekommene Karriere bei der Royal Navy ein abruptes Ende fand. Dass er von nun an keine Schiffe mehr kommandieren konnte. Auch als Quasi-Geschäftsführer der „Firma“stieß er freilich an enge Grenzen. Seine Wut darüber, dass er seinen Kindern nicht einmal seinen Namen Mountbatten (die anglisierte Form von Battenberg) geben durfte, mochte er nicht verhehlen. Jenes Gefühl der Ohnmacht hatte zu der zornigen Bemerkung mit der „Amöbe“geführt. Offenbar zum Trost für die ihm aufgenötigten Kompromisse sorgte Elizabeth dafür, dass ihm wieder ein Prinzentitel verliehen wurde. In der Folge suchte Philip nach Aufgaben, die er für nützlich hielt. 1956 hob er das „Duke of Edinburgh’s Award“-Projekt aus der Taufe, das für jugendliche Selbstertüchtigung und sportliche Leistungen Preise verlieh – und das es noch heute gibt.
Zugleich widmete er sich der Modernisierung der Monarchie. Gemeint war damit eine Überholung der Arbeitsweise und des Image der Royal Family. So war es auch er, der die Königsfamilie den Massenmedien zugänglich machte. Seine Hauptaufgabe bestand freilich darin, bei öffentlichen Veranstaltungen Präsenz zu zeigen und mit Small Talk zahllose Stunden zu füllen. Meistens unterzog er sich dieser Aufgabe mit störrischer Ausdauer und gleichmütiger Bravour. Mit schöner Regelmäßigkeit ließ er sich aber zu witzig gemeinten Äußerungen hinreißen, die ihm empörte Schlagzeilen einbrachten. Ihn selbst störte das nicht. Er tat seine Pflicht und glaubte sich etwas Hohn erlauben zu dürfen.
Als er vor vier Jahren in den Ruhestand trat, konnte er immerhin darauf verweisen, in seinem langen Leben 5500 Reden gehalten und 22.200 Solo-Auftritte absolviert zu haben. Mehr als 140 Länder hat er im Dienst der Krone bereist. Zuletzt überließ er den Jungen das Feld und zog sich zurück auf seinen Alterssitz in Sandringham. Als im vorigen März die Pandemie über alle hereinbrach, holte ihn die Queen zu sich nach Windsor Castle zurück. Und verbrachte zuletzt mehr Zeit mit ihm als in den Jahren zuvor.