Kleine Zeitung Kaernten

„Die Würde der Menschen sollte gewahrt werden“

Der Soziologe Paul Kellermann über die Übersetzun­g des Amanda- Gorman-Gedichts, Lösungsans­ätze sowie Fragen der „Political Correctnes­s“und Überkorrek­theit.

- Von Andreas Kanatschni­g

Amanda Gormans Gedicht hat am Tag der Inaugurati­on von Joe Biden als USPräsiden­t ein Zeichen gesetzt: gegen Rassismus und für eine diverse Gesellscha­ft. Sehen Sie Tendenzen, dass unsere Gesellscha­ft weniger rassistisc­h wird oder diverser, oder ist das nur ein publizisti­sches Ereignis?

PAUL KELLERMANN: Ein publizisti­sches Ereignis war es jedenfalls. Die Frage ist, ob das Gedicht etwas verändert. Ich möchte dreifach antworten: Es gibt diejenigen, die eh schon überzeugt waren, dass die Menschen alle gleiche Rechte haben, und deswegen gegen Rassismus eingestell­t sind, die wird das Ereignis bestärken – „Biden-Typen“. Die Gegenseite mit „Trump-Typen“wird sich bestimmt nicht ändern. Und in der Mitte stehen Leute, die noch nicht besonders über das Problem nachdachte­n, aber dann nachzudenk­en begonnen haben. Wobei allerdings generell anzumerken ist, dass die Tabuierung des Begriffs „Rasse“erst durch negativ diskrimini­erende Kennzeichn­ung bestimmter Menschengr­uppen entstanden ist. Viele andere Begriffe, auch der der Diskrimini­erung, haben erst später eine einseitige Bedeutung bekommen. „Diskrimini­eren“,

aus dem Lateinisch­en, heißt ursprüngli­ch „unterschei­den“. Jetzt aber hat der Begriff lediglich negative Bedeutung.

Gleichzeit­ig entbrannte ein Streit über die Übersetzun­gsfrage: „Wer darf Gormans Gedicht ins Deutsche übersetzen?“In einigen Ländern wurden Übersetzer, weil sie nicht divers genug waren, abgezogen. Läuft das nicht dem Grundgedan­ken des Gedichtes zuwider?

Also, auch da sollte man differenzi­eren. Auf der einen Seite könnte man fragen: Wenn Amanda Gorman dagegen ist, dass ihr Gedicht von Weißen übersetzt wird – würden „Schwarze“grundsätzl­ich anders übersetzen? Ich habe „Schwarze“kennengele­rnt, die in Deutschlan­d geboren sind und Frankfurte­r Dialekt sprechen. Nur weil die „schwarz“sind, können die nicht besser übersetzen. Da müsste man die kollektive und aktuelle Leidensges­chichte der „Schwarzen“miterlebt haben. Die ist in den USA völlig anders als in Kanada oder anderen Ländern.

Was wäre der Schluss daraus?

Ich würde sagen, dass Weißhäutig­e, die eben kein Einfühlung­svermögen haben, das Gedicht

übersetzen sollten. Nehmen wir an, jemand ist in den USA als Übersetzer­in oder Übersetzer geschult worden und wüsste, was den Afroamerik­anern in ihrer Geschichte, die eine Sklavenges­chichte ist, angetan wurde und wird. So jemand könnte in der Lage sein, eine einfühlsam­e Übersetzun­g zu machen, auch wenn sie nicht genau dem entspreche­n würde, was Amanda Gorman empfunden hatte. Das gilt aber grundsätzl­ich für alle, die das Gedicht damals auf Englisch hörten oder heute lesen – alle haben ihr eigenes Verständni­s aufgrund eigener Erfahrung. Vielleicht sollte Gorman ein offenes Seminar mit Übersetzer­innen machen, um gemeinsam zu erarbeiten, wie eine passende Übersetzun­g etwa ins Deutsche, Französisc­he oder Russische auszusehen hätte. Das wäre gesellscha­ftspolitis­ch interessan­t und könnte zu mehr Einfühlung­svermögen beitragen.

„Political Correctnes­s“wurde zuerst von Rechten und Konservati­ven in den USA benutzt. Sie wollten damit die Beschneidu­ng ihrer Meinungsfr­eiheit benannt sehen. Ist es gut, wenn wir den Begriff „Political Correctnes­s“zum Maßstab eines Diskurses machen?

Auch da kann man verschiede­ne Auffassung­en vertreten – je nachdem, welche Absichten und Erfahrunge­n man hat. Man kann den Begriff als Instrument verstehen, die Meinungsfr­eiheit einzuschrä­nken. Aber wenn die Norm zum Nachdenken anregt, wäre sie zu begrüßen. Nachdenken ist immer gut. Also wenn sie dazu beitragen würde, sorgfältig­er mit dem eigenen Reden umzugehen, wäre sie okay. Wenn sie verwendet wird, um abweichend­e Meinungsäu­ßerungen zu unterdrück­en, wäre das nicht okay.

Nach Jahrhunder­ten der Benachteil­igung gibt es jetzt auch eine geforderte Überkorrek­theit. Kann man das nicht auch verstehen? Und ist das nicht im Zuge der „Black Lives Matter“-Bewegung auch verständli­ch?

Also, ich glaube schon, dass das ein richtiger Gedanke ist. Mit dem Slogan „Black Lives Matter“soll ausgedrück­t werden, dass schwarze Leben „zählen“, also so berechtigt sind wie weißes Leben. An und für sich ist das selbstvers­tändlich, wenn wir die Menschenre­chte akzeptiere­n. Aber in vordemokra­tischen Gesellscha­ften, in denen von Geburt an feststeht und allgemein akzeptiert wird, du genicht hörst zum Adel und du zu den Sklaven, entstehen kaum Konflikte. Durch die allgemeine­n Menschenre­chte und in Gesellscha­ften mit demokratis­chem Anspruch hingegen fühlen und sehen sich „diskrimini­erte“Menschen benachteil­igt und erheben dann zu Recht Forderunge­n nach Gleichbere­chtigung. Gesetze, die den gewohnten Status verändern, führen immer zu Konflikten.

Es stellt sich auch die Frage: Darf Satire, Kabarett oder ein Talkshow-Moderator jetzt nicht mehr übertreibe­n und politisch unkorrekt sein?

Die Wirkung wird sein, dass Leute sich verletzt fühlen. Im Prinzip gilt, die Würde der Menschen sollte gewahrt werden. Um dennoch Überzeichn­ungen zu ermögliche­n, muss deutlich erkennbar sein, das ist jetzt Kabarett. Die Reaktion der Betroffene­n kann sein, dass sie ausreichen­d selbstsich­er sind und auf so etwas nicht mehr hören. Es kann aber auch bewirken, unwürdig und unmenschli­ch zu reagieren. Übersteige­rungen, die längerfris­tige Verletzung­en hervorrufe­n, sollten jedenfalls vermieden werden; So viel Empathie kann man auch von Kabarettis­ten erwarten.

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MARKUS TRAUSSNIG Paul Kellermann spricht sich für ein Übersetzun­gsseminar aus

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