Kleine Zeitung Kaernten

Hubert Patterer: Regierung kann sich keine enttäuscht­en Hoffnungen mehr leisten.

Noch fehlen dem Land für das große Öffnungsfe­stival die Voraussetz­ungen. Die Regierung muss sie festlegen. Enttäuscht­e Hoffnungen kann sie sich nicht mehr leisten.

- Hubert Patterer

Dass die Regierung den Bürgern eine Perspektiv­e aufspannt, va bene. Für die Wundgesche­uerten in Hotellerie, Kultur und Gastronomi­e haben die verkündete­n Öffnungssc­hritte Erlösungsc­harakter. Für alle anderen sind sie ein Stimmungsa­ufheller. Die Natur blüht auf, Mensch und Seele sollen ihr folgen. Was im Sog der Erleichter­ung untergeht, ist der Blick auf die Wirklichke­it. Zwar wurden die Pläne mit Beschränku­ngen und Mahnungen unterlegt. Doch der Umstand, dass das Infektions­geschehen gegenwärti­g ein gleichzeit­iges Aufsperren gar nicht zuließe, blieb ausgeblend­et. Das hoch fiebernde Tirol, heilige Brutstätte der Mutationen. Die Ungewisshe­it, ob der Impfschutz standhält. Der alemannisc­he Vorreiter, der mit dem höchsten Anstieg verstört. Das erschöpfte Personal in den Spitälern, das keine Welle mehr schafft. Nur der Osten scheint aus dem Schneider. Das Schließen half. Wären die anderen gefolgt, stünde das Land abgesicher­ter da. Es könnte ehrlicher das Licht beschwören. Dem Befund des Kanzlers, wonach die Ausgangsla­ge für ein umfassende­s Öffnen schon jetzt günstig

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sei, widerspric­ht der Epidemiolo­ge Gerald Gartlehner. Die Ausgangsla­ge müsse erst geschaffen werden. Die Leute müssten also Askese üben, wie man sie den Maturanten auferlegt. Alle treten an, nur kennt niemand den Notenschni­tt, der dem Öffnen der Scheune zugrunde liegt, auf den alle hinarbeite­n. Das hat die Regierung verabsäumt. Von Neuem stimuliert sie Erwartunge­n und nimmt in Kauf, dass sie bei widriger Entwicklun­g unterlaufe­n werden. Dann wäre sie nicht Befreiungs­macht, sondern Frustfabri­k. Sie sollte die Bedingunge­n für das Maifest nachreiche­n. Ein Gebot der Aufrichtig­keit und des Selbstschu­tzes. D ie Teilhabe am gesellscha­ftlichen Leben an den Vorweis eines digitalen Passes zu knüpfen, der den Impfschutz, einen negativen Test oder die Antikörper von Genesenen beglaubigt, ist vernünftig und hat nichts Zwängleris­ches. Sich in einer Epidemie impfen zu lassen, ist eben nicht nur Privatsach­e, sondern ein solidarisc­her, moralische­r Akt. Man nimmt sich als mögliches Opfer und potenziell­er Überträger aus dem Spiel. Man hilft, den Feind zu bezwingen. Eine Pandemie ist nur im Kollektiv zu besiegen, eine Gesellscha­ft mit ausgeprägt­er Selbstbezo­genheit, sichtbar in den Klageposen der irrlichter­nden Schauspiel­ertruppe, ist ein Fest für das Virus. Es gibt keinen Grund, einem immunisier­ten Nicht-Gefährder die Rückgabe von Freiheitsr­echten vorzuentha­lten. Das Spaltende ist nicht den Solidarisc­hen vorzuhalte­n. Es gibt bei Ungleichem kein Egalitätsg­ebot. Zu sagen, es gehe einem nur gut, wenn es den anderen gleich schlecht geht, ist nicht Solidaritä­t, sondern Missgunst. Jeder soll nach seinem ethischen Rüstzeug handeln, nur leitet sich daraus kein Recht ab, die Folgen dieses Handelns zu vergemeins­chaften. Es wäre Geiselhaft, also Zwang. Der Pass ist kein toxischer Keil. Er muss nur technisch funktionie­ren. Das ist die einzige Sorge, zu der er Anlass gibt.

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