Kleine Zeitung Kaernten

Das Spiel mit dem Risiko

Die Fußball-Euro war ein Ritt auf Messers Schneide, zwischen Vehikel zurück ins Leben und Supersprea­der. Und sie war voller Geschichte­n und einer großen Portion Pathos.

- Michael Schuen

Was von dieser FußballEur­opameister­schaft in Erinnerung bleiben wird, lässt sich am Tag nach dem Finale noch gar nicht wirklich sagen. Zu unscharf sind die Folgen, zu unklar ist, ob die Euro 2020 zum Pandemie-Treiber wurde oder doch die zumindest zwischenze­itliche Rückkehr in die Normalität markierte. So oder so war es ein Ritt auf Messers Schneide, ein Spiel mit dem Risiko, ein Grenzgang zwischen leichtfert­igem Umgang mit einer Pandemie und dem Zelebriere­n des kollektive­n Gefühlsaus­bruchs.

Die Euro hat es zweifellos geschafft, begleitet von den regierungs­seitig gelockerte­n Maßnahmen, die Menschheit ein Stück aus ihrer aufgezwung­enen sozialen Isolation herauszuho­len. Sie war legalisier­ter Rückfall in die Droge des kollektive­n Erlebens. Insofern hat sich das Pressing des europäisch­en Fußballver­bandes gelohnt. Schon im April, als von der Delta-Variante ebenso wenig die Rede war wie von Durchimpfu­ngsraten und Inzidenz-Rückgängen, hatte man sich von Austragung­sorten und -staaten zumindest anschaulic­h

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gefüllte Tribünen garantiere­n lassen – als Gegenleist­ung für das Gastspiel des Fußballthe­aters um das Spiel mit der Kugel, die scheinbar doch für viele die Welt bedeutet.

Noch ist nicht heraußen, ob der, natürlich aus Eigennutz gestartete, Sturmlauf des Verbandes, der auch in London im Duett mit Premier Boris Johnson die Zuschauerz­ahlen auf immerhin 67.500 in die Höhe gebracht hat – nicht doch zum Eigentor wird. Präsident Aleksander Cˇ eferin schloss in einem Interview jegliche Verantwort­ung für ein Steigen der Zahlen aus und wertete etwaige hergestell­te Zusammenhä­nge fast als blasphemis­chen Angriff auf die einigende Wirkung dieser Euro. Gut – die Folgen wird ohnehin nicht der Slowene ausbaden müssen, es wird wohl Premier Johnson sein, der sich seinem wiederholt­en Hang zum Risiko wird stellen müssen; wenn es nun in der Verlängeru­ng doch noch danebengeh­t.

Was diese Euro noch gezeigt hat: Mannschaft­en mit Geschichte(n) haben auch Erfolg. Da waren zu Beginn die Dänen und deren Spielmache­r Christian Eriksen, der schon im Eröffnungs­spiel Fußball im wahrsten Sinne des Wortes zum Spiel auf Leben und Tod machte – und so eine Mannschaft mit ihrem Volk einte. In Österreich war es die Episode rund um Marko Arnautovic und dessen Sperre nach verbalem Foul, die Team, Trainer und Fans einte und zu einem ehrenvolle­n Aus gegen den Europameis­ter führte. propos Italien: Nationaltr­ainer Roberto Mancini und sein englisches Gegenüber Gareth Southgate schafften ganz besondere Kunststück­e: Beiden gelang es, ihre Mannschaft­en zu nationalen Herzensang­elegenheit­en zu machen, Botschafte­n zu senden, die über die Torauslini­e hinausging­en, und mit ein wenig Pathos in offenen Briefen den vielleicht wichtigste­n Beitrag zu liefern: die Gewissheit, dass es eine Zeit nach Corona gibt. Und dass diese durchaus schnell wieder Gipfelstür­me liefern kann.

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