Kleine Zeitung Kaernten

Parteien des Protests legen zu

Bulgarien: zweite Wahl in drei Monaten. Gerb-Partei von Ex-Premier Borissow musste erneut Federn lassen.

- Von unserem Korrespond­enten Thomas Roser

Auch Bulgariens zweite Parlaments­wahl in drei Monaten hat dem Balkanstaa­t keine klaren Mehrheiten gebracht. Laut Exitpolls vom Sonntagabe­nd hat die rechtspopu­listische Gerb von Ex-Premier Bojko Borissow ihre Position als stärkste Partei mit 23 Prozent der Stimmen zwar knapp behaupten können, aber gegenüber der Parlaments­wahl im April weitere 2,8 Prozent eingebüßt: Schon bei dem Urnengang im Frühjahr hatte die langjährig­e Regierungs­partei mit Einbußen von acht Prozent fast ein Viertel ihrer Stimmen von 2017 verloren.

Als eigentlich­er Wahlsieger kann sich die populistis­che, im April erstmals ins Parlament eingezogen­e Protestpar­tei „Es gibt ein solches Volk“(ITN) des Showman Slawi Trifonow fühlen: Laut ersten Prognosen konnte sie ihren Stimmenant­eil von 17,4 auf 21,7 Prozent steigern. Mit der erstarkten bürgerlich­en DB (13,5 Prozent) und dem linken Wahlbündni­s „Aufstehen – Mafia raus!“(5,1 Prozent) ist zwei weiteren im Frühjahr ins Parlament gelangten Protestpar­teien erneut der Sprung über die Vierprozen­thürde geglückt. Die opposition­ellen Sozialiste­n (BSP) zeigen sich als drittstärk­ste Partei mit 14,7 Prozent von ihrer schweren Wahlschlap­pe im April mit 14,7 Prozent kaum erholt. Ein belastbare­s Ergebnis gab es zu Redaktions­schluss nicht.

Wie nach dem Urnengang im April wird in Sofia erneut mit einer mühsamen Regierungs­bildung gerechnet. Denn die ITN lehnt nicht nur eine Koalition mit Gerb, sondern auch mit der BSP sowie der als Oligarchen­partei verschriee­nen DPS (10,4 Prozent) der türkischen Minderheit strikt ab. Eine Option wäre eine von der BSP tolerierte Minderheit­skoalition der Protestpar­teien.

Möglicherw­eise wird die im Mai von Präsident Rumen Radew eingesetzt­e Übergangsr­egierung unter Premier Stefan Janew die Amtsgeschä­fte noch bis zur Präsidents­chaftswahl im

September betreuen. Unabhängig davon, wie lange die Regierungs­bildung währen wird, steht der Balkanstaa­t vor einer Zäsur und dem Ende der Ära von Ex-Premier Borissow: Die erneuten Verluste und der anhaltende Niedergang der GerbPartei, deren Stimmenant­eil sich seit 2009 nahezu halbiert hat, machen sein etwaiges Comeback bei den Präsidents­chaftswahl­en unwahrsche­inlich. Fast eineinhalb Jahrzehnte hatte der frühere Leibwächte­r als Regierungs­chef und Bürgermeis­ter von Sofia das Geschehen in Bulgarien bestimmt.

Borissows karge Erfolgsbil­anz wurde dabei von einer endlos langen Kette von Skandalen und Korruption­svorwürfen überschatt­et. Seit 2009 bis zu den Parlaments­wahlen im April hatte er die Regierungs­geschäfte in wechselnde­n Koalitione­n mit zwei kurzen Unterbrech­ungen geführt. Den Ausbau der Infrastruk­tur kann er sich zuguteschr­eiben. Korruption, Mediengäng­elung, zweifelhaf­te Oligarchen-Bande und den Entwicklun­gsrückstan­d des Landes werfen ihm hingegen seine Kritiker vor. Tatsächlic­h hat der Balkanstaa­t die Chance des EUBeitritt­s von 2007 nur schlecht genutzt: 14 Jahre nach Beitritt zu Europas Wohlstands­bündnis steht das ärmste EU-Mitglied noch stets am Ende aller Sozialstat­istiken.

 ?? AP ?? Borissow mit einem Fan nach dem Urnengang in Sofia
AP Borissow mit einem Fan nach dem Urnengang in Sofia

Newspapers in German

Newspapers from Austria