Parteien des Protests legen zu
Bulgarien: zweite Wahl in drei Monaten. Gerb-Partei von Ex-Premier Borissow musste erneut Federn lassen.
Auch Bulgariens zweite Parlamentswahl in drei Monaten hat dem Balkanstaat keine klaren Mehrheiten gebracht. Laut Exitpolls vom Sonntagabend hat die rechtspopulistische Gerb von Ex-Premier Bojko Borissow ihre Position als stärkste Partei mit 23 Prozent der Stimmen zwar knapp behaupten können, aber gegenüber der Parlamentswahl im April weitere 2,8 Prozent eingebüßt: Schon bei dem Urnengang im Frühjahr hatte die langjährige Regierungspartei mit Einbußen von acht Prozent fast ein Viertel ihrer Stimmen von 2017 verloren.
Als eigentlicher Wahlsieger kann sich die populistische, im April erstmals ins Parlament eingezogene Protestpartei „Es gibt ein solches Volk“(ITN) des Showman Slawi Trifonow fühlen: Laut ersten Prognosen konnte sie ihren Stimmenanteil von 17,4 auf 21,7 Prozent steigern. Mit der erstarkten bürgerlichen DB (13,5 Prozent) und dem linken Wahlbündnis „Aufstehen – Mafia raus!“(5,1 Prozent) ist zwei weiteren im Frühjahr ins Parlament gelangten Protestparteien erneut der Sprung über die Vierprozenthürde geglückt. Die oppositionellen Sozialisten (BSP) zeigen sich als drittstärkste Partei mit 14,7 Prozent von ihrer schweren Wahlschlappe im April mit 14,7 Prozent kaum erholt. Ein belastbares Ergebnis gab es zu Redaktionsschluss nicht.
Wie nach dem Urnengang im April wird in Sofia erneut mit einer mühsamen Regierungsbildung gerechnet. Denn die ITN lehnt nicht nur eine Koalition mit Gerb, sondern auch mit der BSP sowie der als Oligarchenpartei verschrieenen DPS (10,4 Prozent) der türkischen Minderheit strikt ab. Eine Option wäre eine von der BSP tolerierte Minderheitskoalition der Protestparteien.
Möglicherweise wird die im Mai von Präsident Rumen Radew eingesetzte Übergangsregierung unter Premier Stefan Janew die Amtsgeschäfte noch bis zur Präsidentschaftswahl im
September betreuen. Unabhängig davon, wie lange die Regierungsbildung währen wird, steht der Balkanstaat vor einer Zäsur und dem Ende der Ära von Ex-Premier Borissow: Die erneuten Verluste und der anhaltende Niedergang der GerbPartei, deren Stimmenanteil sich seit 2009 nahezu halbiert hat, machen sein etwaiges Comeback bei den Präsidentschaftswahlen unwahrscheinlich. Fast eineinhalb Jahrzehnte hatte der frühere Leibwächter als Regierungschef und Bürgermeister von Sofia das Geschehen in Bulgarien bestimmt.
Borissows karge Erfolgsbilanz wurde dabei von einer endlos langen Kette von Skandalen und Korruptionsvorwürfen überschattet. Seit 2009 bis zu den Parlamentswahlen im April hatte er die Regierungsgeschäfte in wechselnden Koalitionen mit zwei kurzen Unterbrechungen geführt. Den Ausbau der Infrastruktur kann er sich zuguteschreiben. Korruption, Mediengängelung, zweifelhafte Oligarchen-Bande und den Entwicklungsrückstand des Landes werfen ihm hingegen seine Kritiker vor. Tatsächlich hat der Balkanstaat die Chance des EUBeitritts von 2007 nur schlecht genutzt: 14 Jahre nach Beitritt zu Europas Wohlstandsbündnis steht das ärmste EU-Mitglied noch stets am Ende aller Sozialstatistiken.