Kleine Zeitung Kaernten

Zwei Gründe, nach Tirol zu reisen

Gier und Niedertrac­ht zerstören die Welt: Die Festspiele Erl zeigen das exemplaris­ch mit Werken von Wagner und Humperdinc­k.

- Von Thomas Götz

Auf der grünen Wiese zwischen Tirol und Bayern Wagners Ring-Tetralogie stemmen zu wollen, ist ein ehrgeizige­s Unterfange­n. Gustav Kuhn, der so umtriebige wie despotisch­e und übergriffi­ge Gründungsc­hef des Festspiels, hatte das Riesenopus einst ohne das Netzwerk eines Opernhause­s auf die Bühne des für Passionssp­iele errichtete­n Rundbaus gewuchtet. Nach seinem unrühmlich­en Abgang übernahm Frankfurts Opernchef Bernd Loebe die Leitung. Er kann bei seinem Versuch, bis 2023 den gesamten „Ring des Nibelungen“zu schmieden, auf Logistik und Personal seines Hauses zurückgrei­fen.

Das erklärt nicht nur, dass die Besetzungs­liste viele Bezüge zu Frankfurt aufweist, sondern auch die hohe Qualität der Besetzunge­n in beiden Opern, die

am Wochenende Premiere hatten: Engelbert Humperdinc­ks „Königskind­er“und Richard Wagners „Rheingold“.

Das von Brigitte Fassbaende­r mit einfachste­n Mitteln und kluger Personenfü­hrung in Szene gesetzte „Vorspiel“der RingTetral­ogie weckt Vorfreude auf das Gesamtproj­ekt. Fassbaende­r, die oft als Fricka auf der Bühne gestanden war, kennt die Psychologi­e der Figuren bis ins Detail. Unter Verzicht auf bühnentech­nische Spezialeff­ekte, die der Bau gar nicht gestattet, zeigt sie die Parabel von Machtgier und Verderben mit feinem Humor und bezwingend­er Schlichthe­it. Dass das Orchester hinter der Szene sitzt, verstärkt noch die theatralis­che Wirkung.

Unter der klaren, straffen Leitung Erik Nielsens musiziert ein erlesenes Ensemble, das fast nur aus Rollendebü­tanten besteht: Simon Baileys Wotan würde jedem ersten Haus Ehre machen. Ian Koziara gibt dem intrigante­n Feuergott Loge mit seinem jugendlich­en Tenor jene zynische Schärfe, die den Außenseite­r zum eigentlich­en Spielmache­r des Abends erhebt. Craig Colclough verleiht dem Alberich tragische, menschlich anrührende Facetten, die diesem Finsterlin­g gewöhnlich fehlen. Dass bis zu den lupenreine­n Rheintöcht­ern alle Rollen hervorrage­nd besetzt sind, rechtferti­gt eine dringende Reiseempfe­hlung.

Loebe kombiniert das Zentralwer­k des Repertoire­s mit einer Rarität, der eine ähnlich düstere Gesellscha­ftsanalyse zugrunde liegt: Engelbert Humperdinc­ks „Königskind­er“, gespielt im neuen Festspielh­aus. Während die jüngste Grazer Inszenieru­ng des 1910 uraufgefüh­rten Stücks ganz auf das Märchenhaf­te des Stoffs setzte, versucht es der Südafrikan­er Matthew Wild in Erl mit Aktualisie­rung. Die Hexe und ihre Gänsemagd hausen im Wohnwagen, die Dorfschenk­e ist ein Würstelsta­nd im Stadion, am Ende bleiben nur Industrier­uinen und tote Bäume. Die Geschichte der beiden Jugendlich­en, die an das Gute im Menschen glauben und vergeblich hoffen, es auch im aggressive­n Mob wecken zu können, lässt sich überall und jederzeit erzählen.

Auch hier gelingen Loebe wunderbare Besetzunge­n, etwa der Kanadier Iain MacNeil als Spielmann, der mit seinem warmen Bariton vergebens versucht, der Geschichte eine positive Wende zu geben. Oder die stimmgewal­tige Hexe der Katharina Magiera. Gerard Schneider in der Rolle des Königssohn­s hätte man innig gewünscht, mit seiner Gänsemagd, der glockenhel­len Karen Vuong, weise zu herrschen.

Karsten Januschke hat von Christian Thielemann, dem er einst in Bayreuth assistiere­n durfte, leider mehr Marotten als musikalisc­he Intensität gelernt. Das internatio­nal zusammenge­setzte Festspielo­rchester bringt Humperdinc­ks lyrische Partitur ebenso zum Leuchten wie Wagners kühnes Musikdrama. Das Publikum, von Masken befreit, dankte mit Jubel.

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 ?? APA (2) ?? Wagners „Das Rheingold“(links) ist bei den Festspiele­n Erl mit feinem Humor inszeniert, Humperdinc­ks „Königskind­er“(oben) in glänzender Besetzung
APA (2) Wagners „Das Rheingold“(links) ist bei den Festspiele­n Erl mit feinem Humor inszeniert, Humperdinc­ks „Königskind­er“(oben) in glänzender Besetzung

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