Ein Füllhorn für den Boulevard
Eine „aus dem Ruder gelaufene“Inseratenund Förderpolitik überschüttet Boulevardmedien mit Millionen. Das zeigen das Wiener Medienhaus und eine neue Theaterproduktion.
Der Boulevard ist an sich schon eine schrille, bunte Bühne für chronisch Dramatisches, nun wurde er selbst zum theatralen Objekt. „Fellner Lesung“nennt sich eine Theaterperformance, die derzeit durch Österreich tourt und Wolfgang Fellners Medienimperium humorvoll seziert. In einer Mischung aus Medienanalyse und authentischer Stimmenimitation zerpflücken Theaterregisseur Felix Hafner, Schauspielerin Josephine Bloéb und Darsteller Lukas Watzl („Vorstadtweiber“) in Originalzitaten den Kosmos des erfolgreichen Medienmachers.
Für die Datengrundlage der „Fellner Lesung“sorgt unter anderem das Medienhaus Wien. Die Forschungsinstitution hat zuletzt die Medienförderung für das Jahr 2020 unter die Lupe genommen und eine Studie präsentiert, die unterstreicht, was die „Fellner Lesung“mit Witz auf die Bühne übersetzt: Der Zeitungsboulevard hat in Österreich eine Sonderstellung, keine anderen Medien haben so stark von den Corona-Millionen profitiert wie „Krone“, „Heute“und „oe24“. Die Analyse bilanziert, dass im Vorjahr 6 Millionen Euro an Tageszei tungsverlage flossen. Die Hälft davon entfiel auf Inserate – Tei davon waren die umfangrei chen Kampagnen „Schau au dich, schau auf mich“.
„Die Inseraten- und Förder politik von Österreichs Bundes regierung im Tageszeitungs markt ist in den vergangene Jahren ideell und konzeptuel aus dem Ruder gelaufen“, be schreibt Medienwissenschaft ler Andy Kaltenbrunner, Ge schäftsführer des Medienhau ses, die Verrückung. Die in ers ter Linie in Wien präsente Gratiszeitungen profitierte überproportional – mehr als di Hälfte der Insteraten-Euro entfielen auf Boulevardmedien Zum Vergleich: An die Bundes länderzeitungen ging ein Vier tel des Inseratenaufkommens
und zur „Fell ner Lesung“, die nächste Woch in Salzburg und im August i Wien zu sehen ist: „Sie kenne das G’schäft, für’s Inserat gibt’ ein Gegengeschäft, oder?“, wir Nationalratspräsident Wolf gang Sobotka zitiert. Gefalle ist der Satz – richtig! – in einem Studiointerview mit Fellne Für das Publikum wird die Sze ne nachgespielt, ebenso Inter views mit Sebastian Kurz Heinz-Christian Strache ode Peter Pilz.
Ausgestrahlt wurden die In terviews auf Oe24.TV, dem 201 gegründeten Fellner-Sende Wie jedes andere Boulevard medium – von „Krone“bi „Exxpress“– setzt auch Fellne auf das TV und profitiert vom 2019 um ein Drittel auf 20 Mil lionen erhöhten Privatrund
funkfonds – plus 15 Millionen Euro Sonderförderung 2020.
Die Medienhaus-Studie legt ein massives Ungleichgewicht und eine Schattenmedienförderung offen, die nicht auf Qualität, Meinungsvielfalt oder journalistische Unabhängigkeit abzielt: „Die Inseratenpolitik der Bundesregierung verzerrt damit den Tageszeitungsmarkt entlang willkürlich gezogener Linien zugunsten einzelner
Marktteilnehmer“, schreiben die Autoren. Deutlich macht das ein Blick auf die Regierungsinserate pro Kopf. Ein Leser von „Österreich“/„oe24“war der Regierung 8,22 Euro wert, „Heute“6,86 Euro, „Kleiner Zeitung“3,57 Euro. Benachteiligt waren Verlage, die auf Verkauf und Online-Bezahlmodelle setzen.
Nicht nur bei den Empfängern, auch bei den Verteilern geht die Spanne auf: 95 Prozent der Regierungsinserate fallen auf ÖVP-Ressorts, was freilich viel mit den Corona-Kampagnen zu tun hat.
Ein letzter Schwenk zurück zur „Fellner Lesung“: Das Thema Arbeitsklima, Machtmissbrauch und Sexismus kommt auf die Agenda. Raphaela Scharf und Katia Wagner werden zitiert, beide liegen im Rechtsstreit mit Fellner. „Wenn man nicht mit Herrn Fellner essen geht, ist man schnell weg vom Fenster“, erklärte Scharf in einer TV-Show. Das „Angstphantom“wird auch in der Politik greifbar: Wer sich weigert, zu Fellner ins Studio zu kommen, dem droht Ungemach.
Zugleich ist die Abhängigkeit der Gratisblätter von öffentlichen Inseraten und Förderungen enorm: 20 bis 40 Prozent mache ihr Erlösanteil aus, heißt es in dem Medienhaus-Studio. Der Erhalt öffentlicher Gelder wird zur Existenzfrage.
„Wird es diesmal Konsequenzen für Wolfgang Fellner geben?“, fragen die Darsteller rhetorisch. Die Antwort gibt sich das Publikum selbst, die Theatervorstellung ist zu Ende. Jene des Boulevards noch lange nicht.