Kleine Zeitung Kaernten

In Kuba steht das ganze System auf der Kippe

Pandemie, Wirtschaft­skrise, Wut und Mut sind die Hauptgründ­e für die massiven Proteste in Kuba.

- Klaus Ehringfeld

Wenige Tage nach dem außergewöh­nlichen Sonntag auf Kuba fragen sich die Menschen immer noch, was da eigentlich passiert ist. Derartige Proteste, die mittlerwei­le sogar ein Menschenle­ben gefordert haben, hat es auf Kuba nach der Revolution 1959 kaum gegeben. Und derart aggressiv hat noch niemand in Kuba Kritik an dem kommunisti­schen Regime geäußert.

Aber dass die Proteste jetzt so heftig und so scheinbar aus dem Nichts stattfinde­n, hat eine innere Logik, eine historisch­e Berechtigu­ng und auch äußere Faktoren. Klar ist, dass das der Anfang von etwas Neuem auf Kuba ist. Ob es sich zu einer Art „Karibische­m Frühling“entwickelt, werden die nächsten Wochen zeigen.

Man kann trotz allem mindestens vier Faktoren und Auslöser benennen, die zur jetzigen Entwicklun­g geführt haben. Erstens ist es die Coronakris­e. Zweitens ist es das wirtschaft­liche Desaster auf der Insel, was auch mit der Pandemie zu tun hat. Drittens ist es die Verfügbark­eit von Internet. Und last but not least geht es auch um den Abgang der Revolution­sgeneratio­n aus der Politik. Kein Castro ist mehr im aktiven politische­n Geschäft vertreten. Jedenfalls steht der noch recht neue und nach der Revolution geborene Staatschef Miguel Díaz-Canel vor der größten Herausford­erung seiner noch jungen Amtszeit.

Kuba konnte die Pandemie länger in Schach halten, weil die Regierung das Land zusperrte, harte Restriktio­nen verhängte und die Bevölkerun­g – zumindest war das bisher so – den Anweisunge­n der Regierung Folge leistete. Aber jetzt wird auch die Insel hart getroffen mit einer den höchsten Ansteckung­szahlen in Lateinamer­ika. Zudem kursieren Videos von kollabiere­nden Spitälern im Netz, die selbst entwickelt­en Impfstoffe kommen zu spät und gehen erst jetzt in Produktion. nfolge der Krise haben sich die Ärmeren wirtschaft­lich noch weiter einschränk­en müssen. Stundenlan­ges Schlangest­ehen für Lebenswich­tiges im Lockdown – das ist ein Widerspruc­h in sich. Zudem zerren die Stromabsch­altungen an den Nerven der Kubaner und Kubanerinn­en. Der wichtigste Punkt ist aber wohl die späte und doch überhastet­e wirtschaft­liche Öffnung, die zu großen ökonomisch­en Problemen geführt hat. Zu Jahresbegi­nn hatte die Re

Igierung die Doppelwähr­ung abgeschaff­t und nach einem Vierteljah­rhundert den konvertibl­en, an den Dollar gekoppelte­n Peso CUC vom Markt genommen.

Dann verschwind­en die meisten der unrentable­n Staatsbetr­iebe, bei denen 70 Prozent der arbeitende­n Kubaner angestellt sind. Auch Subvention­en und Lebensmitt­elrationen werden sukzessive abgeschaff­t. Diese Reform hat zu einem Preisschoc­k, zu Hamsterkäu­fen und zu einer Rationieru­ng mehrerer Lebensmitt­el geführt. ie Proteste Hunderter am Sonntag nahe Havanna wurden durch Videos in Echtzeit in den sozialen Netzwerken auf der ganzen Insel übertragen. Die Menschen fühlten sich dadurch angesproch­en und machten mit.

Das Internet hat der Regierung das Informatio­nsmonopol genommen. Das Verhältnis zwischen Volk und Führung wird auf eine neue Basis gestellt. Darauf muss Díaz-Canel, der seit drei Jahren Staatschef ist und seit drei Monaten auch Parteichef, umgehend antworten. Nicht, indem er das Internet abdreht, sondern konstrukti­v. Sonst kann er sein System nicht retten.

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Kuba erlebt die größten Proteste seit Jahrzehnte­n

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