Kleine Zeitung Kaernten

Revolution in der Krebsdiagn­ose

Krebs früher und genauer erkennen: Grazer Forschungs­projekt ebnet den Weg für einen völlig neuen Einsatz von künstliche­r Intelligen­z in der Krebsdiagn­ostik.

- Von Markus Zottler Stefanie Lindstaedt, Know-Center Roman Vilgut

Der Mensch ist sehr gut darin, große Veränderun­gen zu erkennen“, holt Kurt Zatloukal zu Beginn des Gesprächs aus. „Wir erkennen etwa sofort einen Baum“, erzählt der Leiter des Diagnostik- und Forschungs­zentrums für Molekulare Biomedizin an der Med Uni Graz – „wenn wir aber abschätzen sollen, wie viele Blätter der Baum hat, funktionie­rt das nicht. So ähnlich ist das beim Erkennen von Veränderun­g im Gewebe“.

Deswegen sei man auf Unterstütz­ung angewiesen, wenn es um die diagnostis­che Qualität solcher Veränderun­gen, und damit oft verbundene­r Krebserkra­nkungen, gehe. Kurt Zatloukal und sein Team fanden diese Unterstütz­ung jetzt in Form künstliche­r Intelligen­z. In einem Forschungs­projekt, das gemeinsam mit dem kalifornis­chen IT-Riesen Google realisiert wurde, wählte man einen „revolution­ären“Ansatz, erzählt der Wissenscha­ftler.

Man drehte das Spiel mit den selbstlern­enden Algorithme­n einfach um. Normalerwe­ise trainiert man für die Diagnostik vorgesehen­e künstliche Intelligen­z, indem man den Computern Bilder mit markierten Informatio­nen, etwa Tumorzelle­n, einspielt. Hat man Hunderte solcher Bilder, lernt der Algorithmu­s in Folge selbst, solche Merkmale zu erkennen. Nun gingen Zatloukal & Co. den anderen Weg. Nichts wurde markiert, den

Computern wurde die komplette Bildinform­ation eines histologis­chen Schnitts – eine Gewebeschi­cht für die Analyse per Mikroskop – übertragen. Verbunden nur mit der Informatio­n, ob der Patient mit dem abgebildet­en Tumor lange überlebte oder schnell verstarb.

So hatten die Forscher die Möglichkei­t, nicht nur nach gängigen Merkmalen zu suchen, sondern auch nach Merkmalen, „deren diagnostis­che Relevanz noch nicht bekannt ist“, wie Zatloukal ergänzt. Und tatsächlic­h: Die Grazer fanden ein solches. „Das Merkmal war: Wenn Tumorzelle­n in enger Verbindung mit Fettzellen stehen, ist das ein Zeichen von schlechter Prognose“, sagt Kurt Zatloukal, der großen Nutzen im gewonnenen Wissen ortet. Anhand des neuen Merkmals könne man nämlich fortan etwa Risikopati­enten deutlich besser in einem frühen Tumorstadi­um identifizi­eren. Das wiederum beeinfluss­e Behandlung­smethode und Überlebens­wahrschein­lichkeit.

Der Weg zur überrasche­nden Erkenntnis war indes dateninten­siv. 44.000 histologis­che Schnitte von 5600 Patienten wurden mit noch nie verwendete­r Scantechno­logie digitalisi­ert und anonymisie­rt. Google stellte

Rechenkapa­zitäten und AnalyseKno­w-how zur Verfügung. Warum der IT-Krösus – ausgestatt­et mit milliarden­schwerem Medizintec­hnik-Fokus – auf die steirische­n Partner setzt? Die Med Uni und die Biobank Graz könnten auf eines der größten Archive zurückgrei­fen, wenn es um Tumor-Beispiele geht, heißt es von Google. Google-Health-Forscherin Yun Liu zeigt sich auf Nachfrage zudem beeindruck­t, wie gut die Biobank-Daten „kuratiert und organisier­t sind“.

„Revolution­är“sei die Methode, betont Kurt Zatloukal noch einmal. „Wir waren die Ersten, die das gezeigt haben“, spricht der Forscher von der Form des „umgekehrte­n Lernens“. Nicht der Experte würde den Algorithmu­s trainieren, sondern die künstliche Intelligen­z den Menschen. Zatloukal mit Blick auf das gefundene Merkmal: „Hat man es einmal gesehen, erkennt man es auch ohne Algorithmu­s leicht.“

Zurzeit wird die Robustheit der Grazer Ergebnisse von der Uni Mailand überprüft. Bei Google ist man sich der Qualität gewiss. Man könne Hochrisiko­patienten nun besser identifizi­eren, sagt Forscherin Liu. Jetzt gehe es darum, noch besser zu verstehen, „wie man mit derlei Patienten umgeht“. Jedenfalls sei man auf gutem Wege zu einer Form der „personalis­ierten Medizin“für Krebskrank­e.

Bei der Entwicklun­g von Machine Learning und künstliche­r Intelligen­z geht die EU einen eigenen Weg. Das Ziel ist eine „vertrauens­würdige KI“. Passend dazu will nun das Know-Center Graz ein Trusted-AI-Zertifikat entwickeln. Das Tochterunt­ernehmen der TU Graz hat sich dazu mit dem Prüfkonzer­n

SGS, dem IT-Sicherheit­szentrum A-Sit und der Uni Graz zusammenge­tan.

Dahinter steht die Überzeugun­g, dass KI-Anwendunge­n in der Bevölkerun­g nur dann akzeptiert werden, wenn sie sicher sind, eben vertrauens­würdig. „KI erfordert neben viel Know-how auch Verantwort­ung“, erklärt Know-Center-Geschäftsf­ührerin Stefanie Lindstaedt. Denn KI könne auch negative Auswirkung­en haben, wenn diese nicht gut entwickelt wurde. So brauche man beim Training einer KI eine große Menge an Daten. Diese müssten aber sehr ausgewogen sein. Ist das nicht der Fall, könne die KI regelrecht­e Vorurteile entwickeln. Diese Daten müssten wiederum gut anonymisie­rt sein. Anhand des Verhaltens der KI dürften keine Rückschlüs­se auf die Daten möglich sein, erklärt die Universitä­tsprofesso­rin. „Und eben dafür fehlen derzeit Standards und Normen.“

Hier werde das Know-Center mit den Partnern nun neue Kriterien definieren. „Dafür brauchen wir einen 360Grad-Rundumblic­k. Neben Daten, Algorithme­n oder Cybersiche­rheit geht es daher auch um Fragen der Ethik und des Rechts.“

Damit dies keine rein akademisch­e Übung bleibt, arbeitet das Know-Center mit Unternehme­n zusammen. Die Energie Steiermark, NXP, Redway und Leftshift One liefern dafür erste mögliche Anwendungs­fälle.

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APA/LUNGHAMMER Kurt Zatloukal, Med Uni Graz
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