Revolution in der Krebsdiagnose
Krebs früher und genauer erkennen: Grazer Forschungsprojekt ebnet den Weg für einen völlig neuen Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Krebsdiagnostik.
Der Mensch ist sehr gut darin, große Veränderungen zu erkennen“, holt Kurt Zatloukal zu Beginn des Gesprächs aus. „Wir erkennen etwa sofort einen Baum“, erzählt der Leiter des Diagnostik- und Forschungszentrums für Molekulare Biomedizin an der Med Uni Graz – „wenn wir aber abschätzen sollen, wie viele Blätter der Baum hat, funktioniert das nicht. So ähnlich ist das beim Erkennen von Veränderung im Gewebe“.
Deswegen sei man auf Unterstützung angewiesen, wenn es um die diagnostische Qualität solcher Veränderungen, und damit oft verbundener Krebserkrankungen, gehe. Kurt Zatloukal und sein Team fanden diese Unterstützung jetzt in Form künstlicher Intelligenz. In einem Forschungsprojekt, das gemeinsam mit dem kalifornischen IT-Riesen Google realisiert wurde, wählte man einen „revolutionären“Ansatz, erzählt der Wissenschaftler.
Man drehte das Spiel mit den selbstlernenden Algorithmen einfach um. Normalerweise trainiert man für die Diagnostik vorgesehene künstliche Intelligenz, indem man den Computern Bilder mit markierten Informationen, etwa Tumorzellen, einspielt. Hat man Hunderte solcher Bilder, lernt der Algorithmus in Folge selbst, solche Merkmale zu erkennen. Nun gingen Zatloukal & Co. den anderen Weg. Nichts wurde markiert, den
Computern wurde die komplette Bildinformation eines histologischen Schnitts – eine Gewebeschicht für die Analyse per Mikroskop – übertragen. Verbunden nur mit der Information, ob der Patient mit dem abgebildeten Tumor lange überlebte oder schnell verstarb.
So hatten die Forscher die Möglichkeit, nicht nur nach gängigen Merkmalen zu suchen, sondern auch nach Merkmalen, „deren diagnostische Relevanz noch nicht bekannt ist“, wie Zatloukal ergänzt. Und tatsächlich: Die Grazer fanden ein solches. „Das Merkmal war: Wenn Tumorzellen in enger Verbindung mit Fettzellen stehen, ist das ein Zeichen von schlechter Prognose“, sagt Kurt Zatloukal, der großen Nutzen im gewonnenen Wissen ortet. Anhand des neuen Merkmals könne man nämlich fortan etwa Risikopatienten deutlich besser in einem frühen Tumorstadium identifizieren. Das wiederum beeinflusse Behandlungsmethode und Überlebenswahrscheinlichkeit.
Der Weg zur überraschenden Erkenntnis war indes datenintensiv. 44.000 histologische Schnitte von 5600 Patienten wurden mit noch nie verwendeter Scantechnologie digitalisiert und anonymisiert. Google stellte
Rechenkapazitäten und AnalyseKnow-how zur Verfügung. Warum der IT-Krösus – ausgestattet mit milliardenschwerem Medizintechnik-Fokus – auf die steirischen Partner setzt? Die Med Uni und die Biobank Graz könnten auf eines der größten Archive zurückgreifen, wenn es um Tumor-Beispiele geht, heißt es von Google. Google-Health-Forscherin Yun Liu zeigt sich auf Nachfrage zudem beeindruckt, wie gut die Biobank-Daten „kuratiert und organisiert sind“.
„Revolutionär“sei die Methode, betont Kurt Zatloukal noch einmal. „Wir waren die Ersten, die das gezeigt haben“, spricht der Forscher von der Form des „umgekehrten Lernens“. Nicht der Experte würde den Algorithmus trainieren, sondern die künstliche Intelligenz den Menschen. Zatloukal mit Blick auf das gefundene Merkmal: „Hat man es einmal gesehen, erkennt man es auch ohne Algorithmus leicht.“
Zurzeit wird die Robustheit der Grazer Ergebnisse von der Uni Mailand überprüft. Bei Google ist man sich der Qualität gewiss. Man könne Hochrisikopatienten nun besser identifizieren, sagt Forscherin Liu. Jetzt gehe es darum, noch besser zu verstehen, „wie man mit derlei Patienten umgeht“. Jedenfalls sei man auf gutem Wege zu einer Form der „personalisierten Medizin“für Krebskranke.
Bei der Entwicklung von Machine Learning und künstlicher Intelligenz geht die EU einen eigenen Weg. Das Ziel ist eine „vertrauenswürdige KI“. Passend dazu will nun das Know-Center Graz ein Trusted-AI-Zertifikat entwickeln. Das Tochterunternehmen der TU Graz hat sich dazu mit dem Prüfkonzern
SGS, dem IT-Sicherheitszentrum A-Sit und der Uni Graz zusammengetan.
Dahinter steht die Überzeugung, dass KI-Anwendungen in der Bevölkerung nur dann akzeptiert werden, wenn sie sicher sind, eben vertrauenswürdig. „KI erfordert neben viel Know-how auch Verantwortung“, erklärt Know-Center-Geschäftsführerin Stefanie Lindstaedt. Denn KI könne auch negative Auswirkungen haben, wenn diese nicht gut entwickelt wurde. So brauche man beim Training einer KI eine große Menge an Daten. Diese müssten aber sehr ausgewogen sein. Ist das nicht der Fall, könne die KI regelrechte Vorurteile entwickeln. Diese Daten müssten wiederum gut anonymisiert sein. Anhand des Verhaltens der KI dürften keine Rückschlüsse auf die Daten möglich sein, erklärt die Universitätsprofessorin. „Und eben dafür fehlen derzeit Standards und Normen.“
Hier werde das Know-Center mit den Partnern nun neue Kriterien definieren. „Dafür brauchen wir einen 360Grad-Rundumblick. Neben Daten, Algorithmen oder Cybersicherheit geht es daher auch um Fragen der Ethik und des Rechts.“
Damit dies keine rein akademische Übung bleibt, arbeitet das Know-Center mit Unternehmen zusammen. Die Energie Steiermark, NXP, Redway und Leftshift One liefern dafür erste mögliche Anwendungsfälle.