(Nicht) Zurück ins Mittelalter!
Kreislaufwirtschaft als ganz altes und drängend modernes Modell.
Zuerst die ebenso originelle wie aktuelle These: Der Mensch sei keineswegs jenes gierige, nutzenmaximierende, egoistische Geschöpf, als das er sich im Kapitalismus verhält und als das ihn die Wirtschaftswissenschaften mitunter beschreiben. Vielmehr lehre die 300.000 Jahre alte Menschheitsgeschichte, dass das sozial-ökonomische Zusammenleben die längste Zeit ganz anders lief: In den Klöstern des Mittelalters gab es keinen Besitz, die Brücke von Avignon wurde vor 800 Jahren über Crowdfunding finanziert, die Fischerei im Bodensee war ein sozialistisches Projekt.
Autorin Annette Kehnel ist Professorin für Mittelalterliche Geschichte, sie schöpft opulent aus dem Fundus ihres Wissens und berichtet über untergegangene Reparaturberufe wie „Altlepper“und „Altplecker“, über ein jahrtausendealtes Recyclingprodukt namens Papier, über naturalwirtschaftliche Kreditbesicherung mit Kühen und Wintermänteln. Über allem schwebt die Idee, dass wir es in uns hätten, von der täglichen Planeten-Plünderung im Rahmen der Wegwerfwirtschaft abzulassen.
Doch erst im dahinterliegenden Subtext wird das Buch so richtig spannend. Denn die Autorin weiß natürlich, dass der Ruf „Zurück ins Mittelalter“eher kontraproduktiv wäre für eine Verhaltensänderung zur Rettung der Welt. Über Steinzeit und Klimapolitik lässt sich ja trefflich streiten. Die Autorin umgeht die Falle weiträumig und elegant: Die Vergangenheit sei natürlich kein Rezept für die Zukunft. Jedoch könne der kundige Blick auf das Gewesene sehr wohl unser Denken erweitern und den Entwurf neuer Zukunftsbilder abseits der fehlgeleiteten Wachstumsideologie kreativ befeuern.
Wie weit diese Idee trägt, bleibt offen. „Wir konnten auch anders“heißt der Buchtitel, der nur den Rückblick benennt. Aber ob wir auch heute noch anders könn(t)en? Die Autorin glaubt das ganz fest. Doch für den Buchtitel hat es nicht gereicht.