Wenn aus Patienten Kläger werden
Ärztliche Behandlungsfehler, mangelnde Aufklärung und keine Entschuldigung: Die Anwältin Karin Prutsch im Gespräch über Patienten, die ihren Arzt verklagen, und die Frage: Zahlt sich das jemals aus?
Eines gleich vorweg: Mediziner in Österreich leisten eine großartige Arbeit, das hat sich während der Pandemie nur bestätigt. Aber Fehler sind menschlich und in diesem Bereich leider schnell fatal. Und schwarze Schafe gibt es in jeder Branche. Aber, was bewegt Patienten wirklich, ihren Arzt zu verklagen? Was sind die klassischen Fälle in Ihrer Kanzlei?
KARIN PRUTSCH: Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder sind Behandlungsfehler passiert, die Behandlung wurde also nicht dem Stand der Wissenschaft entsprechend durchgeführt, oder die Aufklärung war mangelhaft. Ich höre oft: „Wenn mir vorher jemand gesagt hätte, dass das eintreten könnte, auch nur mit geringer Wahrscheinlichkeit, hätte ich dieser Behandlung nie zugestimmt.“Klassische OP-Fehler sind aus meiner Sicht eher selten, viel häufiger handelt es sich um Schnittstellen-Fehler, etwa wenn durch Dienstwechsel im Krankenhaus zu spät auf die Schmerzen eines Patienten reagiert wird. wenn man gesundheitlich schon schwer angeschlagen ist? Geht es um das Geld? Das Geld ist eher selten der Grund. Ich hatte schon einige Patienten, denen klar war, dass sie an den Folgen der Behandlung sterben würden: Diesen Menschen ging es letztendlich darum, den Verantwortlichen gegenüberzusitzen, eine Entschuldigung von ihnen zu erhalten und eine Erklärung, dass sie aus den Fehlern, sofern welche begangen worden sind, gelernt haben. Diesen Patienten ist es
zu verhindern, dass anderen ein ähnliches Schicksal widerfährt.
Hat hier nicht auch die Haftpflichtversicherung des Arztes mitzureden?
Die Haftpflichtversicherung kann eine Leistung verweigern, wenn der Arzt gegenüber dem Patienten einen Behandlungsfehler eingesteht, ohne dies vorher mit der Versicherung besprochen zu haben, weil dies eine Obliegenheitsverletzung darstellt. Daher muss jeder Arzt einen Schadensfall seiner Haftpflichtversicherung melden, die dann die Gesprächsführung mit den Patienten übernimmt.
Mangelt es an einer gesunden Fehlerkultur?
Ich persönlich gehe davon aus, dass 60 bis 70 Prozent der gerichtsanhängigen Fälle von Patienten mit einem anderen Fehlermanagement zu vermeiden wären. Ich versuche zuerst auch immer eine außergerichtliche Einigung. Die Haftpflichtwichtig,
oder der Rechtsträger von einem Krankenhaus spekuliert aber oft damit, dass Patienten entweder nicht die finanziellen Mittel haben, um zu klagen, oder keine Rechtsschutzversicherung oder dass sie nicht die Kraft haben, ein langwieriges Verfahren durchzustehen.
Von welchen Entschädigungssummen reden wir hier eigentlich? Nähern wir uns den amerikanischen Verhältnissen?
Nein, ganz im Gegenteil. Was in
Amerika zu viel bezahlt wird, ist bei uns zu wenig. Nehmen wir zum Beispiel jemanden, der sein Bein unter dem Knie durch einen Behandlungsfehler verliert. Dafür gibt es etwa 35.000 Euro Schmerzengeld. Hinzu kommt noch Pflegegeld – das macht viel aus, aber das ist für Dinge, die man als Gesunder nie gebraucht hätte. Querschnittgelähmt mit Schmerzen bekommt man, wenn man vorher gesund war, pauschal um die 250.000 Euro. Und sollte Ihre Mutter durch den Behandversicherung lungsfehler eines Arztes sterben und Sie wohnen nicht im gleichen Haushalt, dann haben Sie nur Anspruch auf die Begräbniskosten, sofern keine grobe Fahrlässigkeit zum Tod geführt hat. Zum Vergleich: In Italien erhalten Hinterbliebene in diesen Fällen etwa 200.000 Euro. Teuer wird es für Versicherungen nur, wenn es um Pflegegeld oder Verdienstentgang geht.
Bei einem Gerichtsverfahren kommen schnell hohe Kosten zusammen, auf denen man sitzen bleibt, wenn man verliert. Das muss man sich leisten können.
Fast alle, die zu mir kommen, haben eine Rechtsschutzversicherung. Wer mittellos ist, hat auf Basis der Verfahrenshilfe Anspruch auf eine kostenlose Rechtsvertretung vor Gericht. Ohne Rechtsschutzversicherung oder Verfahrenshilfe vor Gericht zu gehen, ist nicht empfehlenswert. Hier besteht ein hohes Prozesskostenrisiko, das man mit den Klienten auf jeden Fall besprechen muss.