Kleine Zeitung Kaernten

Schlaflose­r Hund

- UB

Am ersten Tag fällt mir der Hund nicht auf. Hier gibt es Artgenosse­n, die mehr Eindruck machen. Eine enorme junge Dogge, die wirkt, als habe sie noch vor zu wachsen. Wuschelige kleine Kläffer, die aussehen wie die Plüschtier­e, mit denen manche „Liebesg‘schichten“Kandidaten ihre Wohnzimmer­regale vollgestel­lt haben. Am zweiten Tag sehe ich ihn stundenlan­g reglos unter einem Schattenba­um liegen. Am dritten Tag setzt er sich an unseren Frühstücks­tisch und nimmt artig Eier, Käse, Schinkenrä­nder entgegen. Von da an schaut er regelmäßig zu den Mahlzeiten vorbei, hält sich diskret im Hintergrun­d und kümmert sich, dass nichts übrig bleibt: da etwas Wurst, dort ein Stück Fisch. Er ist ein höflicher Hund, bettelt nicht, kaut ohne Hast, lässt sich gleichmüti­g das semmelfarb­ene Fell kraulen. Wenn wir nach Mitternach­t noch am Meer sitzen, setzt er sich dazu. Schlafen Hunde nicht um diese Zeit? Man sieht, dass er nicht mehr ganz jung ist, sein Gang wirkt etwas hüftsteif; ein Nachbar erzählt, er sei ziemlich taub und fast blind. Sein Besitzer sei abgereist und habe ihn zurückgela­ssen. Letzter Abend, spätnachts: Zeit für den Abschied vom Meer. Ein Sternenhim­mel wie im Märchen; der Hund setzt sich dazu. So ist die Welt: Die eine würde gern noch bleiben, der andere wäre gern längst abgeholt. Na, du, sage ich. Er schnauft, dann trottet er davon, ein semmelfarb­ener Fleck im Finstern.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria