Eine Metropole kämpft sich ins Leben zurück
Mailand erwacht aus seiner langen coronabedingten Lethargie und richtet den Blick nach vorne. Seine Bewohner sind hart im Nehmen und wollen sich mit mutigen und innovativen Projekten aus der Krise boxen.
Zwanzig Monate lang herrschte im italienischen Finanz- und Modezentrum Mailand gespenstische Ruhe. Die Mailänder wagten sich kaum auf die Straße. Keine andere italienische Stadt ist so heftig vom Coronavirus erschüttert worden wie die Wirtschaftsmetropole: Über 3000 Menschen starben. Zehntausende verloren ihre Jobs. Das Bruttoinlandsprodukt ging um zwölf Prozent zurück – weit mehr als im Landesschnitt.
Mailänder sind jedoch hart im Nehmen und haben in ihrer Geschichte schon oft bewiesen, dass sie sich nach Niederlagen nicht geschlagen geben. So sieht denn Bürgermeister Giuseppe Sala in der Pandemie eine Chance, das Leben in der Stadt grundlegend zu verändern. Grün, umweltbewusst und sozial ausgewogen soll die lombardische Metropole, die in den Jahren vor der Pandemie eine der meist besuchten Städte Europas war, werden. Dabei ist es nirgendwo so teuer und in keiner anderen Stadt Italiens die Luft so schmutzig wie in Mailand. Sala hofft auf fünf Milliarbracht Euro aus dem europäischen Recovery Fund, um die Stadt aus der Krise zu holen.
Ab Monatsbeginn hat sich die Stimmung in der norditalienischen Metropole schlagartig gewandelt. Straßen und Geschäfte sind belebter denn je, vor den Museen bilden sich Warteschlangen und beim Konzert in der Biblioteca degli Alberi (Bibliothek der Bäume) am Piazza Gae Aulenti gab es zigtausend Zuhörer. Ausverkauft sind auch die (noch limitierten) Plätze in Kinos und neustartende Theatervorstellungen. Beim Starrestaurant „Peck“heißt es, dass ohne Vorbestellungen keine Plätze frei seien. Der neu eröffnete Zentralmarkt neben dem Hauptbahnhof mit 26 Feinschmecker-Buden zieht nicht nur Mailänder Gourmets, sondern auch ausländische Besucher an. Die Pandemie ist nicht vergessen, sie scheint aber inzwischen unter Kontrolle.
Ein Auftakt zum Wandel war auch der „Supersalone del Mobile“. Nach zweijähriger Pause punktete die Möbel- und Designmesse, die Anfang September stattfand, bei nationalen und internationalen Kunden. Stolze Bilanz der von Stararchitekt Stefano Boeri nach einem neuen „grünen“Konzept organisierten Ausstellung mit viel Grün und offenen Ständen: 60.000 Besucher und 425 Aussteller. „Ich war sicher, dass die Veranstaltung ein zu großes Risiko sei, dass sie floppe“, meinte Mailands Stardesigner Michele De Lucchi. „Ich habe mich geirrt.“Zwar waren die Hotels nur zu 45 Prozent ausgelastet – gegenüber den vergangenen Monaten aber ein Erfolg.
Zehn Millionen Touristen und Geschäftsleute kamen 2019 – dann blieben sie weitgehend aus. Eine neue Art des Tourismus mit Attraktionen für Kulturund Umweltfans sowie Kulturund Business-Freaks soll nun die Trendwende einleiten.
Nicht nur die Designmesse selbst, sondern auch die zahlreichen in den verschiedensten Stadtvierteln abgehaltenen Präsentationen kamen beim Publikum bestens an. „Fuorisalone“– wie diese Präsentationen auf einen gemeinsamen Nenner geden
werden – hat inzwischen mehr Bedeutung erlangt als die Messe selbst, meint De Lucchi. Die einstige Industriemetropole soll zur ökologischen Hochburg des Landes avancieren – so sollen in ein paar Jahren Bäume, Sträucher und Blumen aus dem Pirellino, einem leer stehenden Hochhaus, quellen. Wenn der Plan aufgeht, werden sich mit dem Wechsel der Jahreszeiten auch die Farben an dem 90 Meter hohen Gebäude verändern. Ein internationales Architektenteam stellte jüngst das Projekt „botanischer Turm“vor.
Noch sind nicht alle Hürden genommen, um den vertikalen Park mitten in der Stadt umzusetzen. Die Chancen dafür stehen aber gut, denn Bürgermeister Sala will Mailand in eine ökologische und soziale Musterstadt verwandeln. Im Pirellino waren einst kommunale Büros untergebracht – dann moderte das Gebäude vor sich hin. Ein Investor erwarb es für 190 Millionen Euro. Private Finanziers beteiligen sich am Umbaumodell. Der abgenickte Ökoplan sieht 20 Parks und drei Millionen Grünpflanzen vor.