Ein Höllenritt zu betörender Musik
Hans Werner Henzes „Das verratene Meer“begeistert nun endlich auch das Publikum.
Die ganze Tristesse von Premieren ohne Publikum offenbarte sich letzten Sonntag. Dasselbe Stück, das im Februar vor Journalisten in derselben Besetzung gezeigt worden war, entfaltete vor vielen wachen Augen und Ohren erst seine ganze düstere Wucht. Hans Werner Henzes schauerliches Musikdrama von menschlicher Einsamkeit, Verführbarkeit und Mordlust riss das spärlich erschienene Publikum mit in die finstere Welt des japanischen Schriftstellers Yukio Mishima. Ein Höllenritt zu betörend sinnlicher, expressiver Musik.
Der 13-jährige Noboru lebt allein mit seiner verwitweten Mutter. Nachts steigt er aus dem Fenster, um sich mit Klassenkollegen um ihren nihilistischen „Anführer“zu scharen. Als die Mutter sich in Kapitän Ryuji verliebt, gerät Noborus Leben aus dem Gleichgewicht. Langsam zieht der Anführer, gefährlich kühl von Erik Van Heyningen gezeichnet, die Schlinge zu. Der Mann, der seine Autorität infrage stellen könnte, muss weg. Dass Ryuji wegen einer Frau das angeblich so heldische Leben auf See aufgibt, genügt der Bande, ihn zu erschlagen.
Im grauen Bühnenbild Anna Viebrocks, das bald Schiff, bald Boutique, Schlafzimmer oder Industriebrache ist, zeichnen Jossi Wieler und Sergio Morabito mit psychologischem Feinsinn die Charaktere nach. Mit Bo Skovhus (Ryuji), Josh Lovell (Noboru) und Vera-Lotte Boecker als dessen Mutter Fusako stehen ihnen nicht nur herausragende Stimmen, sondern auch grandiose Darsteller zur Verfügung. Simone Young entlockt dem Staatsopernorchester die ganze breite Farbpalette der freitonalen Partitur, von lyrischkammermusikalischen Passagen bis zu gewaltigen Schlagzeugattacken. Das Publikum dankte mit Jubel, ehe es beklommen den Heimweg antrat.