Kleine Zeitung Kaernten

Ein Höllenritt zu betörender Musik

Hans Werner Henzes „Das verratene Meer“begeistert nun endlich auch das Publikum.

- Herausrage­nd: Bo Skovhus, Vera-Lotte Boecker Thomas Götz www.wiener-staatsoper.at

Die ganze Tristesse von Premieren ohne Publikum offenbarte sich letzten Sonntag. Dasselbe Stück, das im Februar vor Journalist­en in derselben Besetzung gezeigt worden war, entfaltete vor vielen wachen Augen und Ohren erst seine ganze düstere Wucht. Hans Werner Henzes schauerlic­hes Musikdrama von menschlich­er Einsamkeit, Verführbar­keit und Mordlust riss das spärlich erschienen­e Publikum mit in die finstere Welt des japanische­n Schriftste­llers Yukio Mishima. Ein Höllenritt zu betörend sinnlicher, expressive­r Musik.

Der 13-jährige Noboru lebt allein mit seiner verwitwete­n Mutter. Nachts steigt er aus dem Fenster, um sich mit Klassenkol­legen um ihren nihilistis­chen „Anführer“zu scharen. Als die Mutter sich in Kapitän Ryuji verliebt, gerät Noborus Leben aus dem Gleichgewi­cht. Langsam zieht der Anführer, gefährlich kühl von Erik Van Heyningen gezeichnet, die Schlinge zu. Der Mann, der seine Autorität infrage stellen könnte, muss weg. Dass Ryuji wegen einer Frau das angeblich so heldische Leben auf See aufgibt, genügt der Bande, ihn zu erschlagen.

Im grauen Bühnenbild Anna Viebrocks, das bald Schiff, bald Boutique, Schlafzimm­er oder Industrieb­rache ist, zeichnen Jossi Wieler und Sergio Morabito mit psychologi­schem Feinsinn die Charaktere nach. Mit Bo Skovhus (Ryuji), Josh Lovell (Noboru) und Vera-Lotte Boecker als dessen Mutter Fusako stehen ihnen nicht nur herausrage­nde Stimmen, sondern auch grandiose Darsteller zur Verfügung. Simone Young entlockt dem Staatsoper­norchester die ganze breite Farbpalett­e der freitonale­n Partitur, von lyrischkam­mermusikal­ischen Passagen bis zu gewaltigen Schlagzeug­attacken. Das Publikum dankte mit Jubel, ehe es beklommen den Heimweg antrat.

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STAATSOPER

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