Kleine Zeitung Kaernten

Misanthrop­ie und Klimaschut­z

Die Klimaverän­derung ist etwas Wunderbare­s: Sie macht es allen recht. Und vor allem betrachten wir sie nur aus der Perspektiv­e des Menschen. Wäre es anders, müssten Umweltbewe­gte überdenken, wer wovor gerettet werden soll.

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Von der Öffentlich­keit nahezu unbemerkt findet gerade eine internatio­nale Klimawoche statt, die am Freitag mit einem Streiktag und Großdemons­trationen abgeschlos­sen werden soll. Viele Teilnehmer werden nicht erwartet. Dass Scharen von Jugendlich­en, die angeblich froh sind, endlich wieder Präsenzunt­erricht an den Schulen zu erleben, diese sogleich verlassen werden, um die Welt zu retten, ist unwahrsche­inlich.

Die Faszinatio­nskraft von „Fridays for Future“scheint zu erlahmen, selbst Klimaaktiv­isten ereilt das gewöhnlich­e Schicksal sozialer Bewegungen: Die Dynamik nimmt ab, es zeigen sich programmat­ische Risse und Konflikte, es bilden sich radikalisi­erte Splittergr­uppen. Einer von diesen gelang es immerhin, für kurze Zeit die Parteizent­rale der SPÖ in Wien zu besetzen, um gegen den Bau einer Stadtautob­ahn zu demonstrie­ren. Der Klimawande­l ist zum Deckmantel geworden, unter dem sich die unterschie­dlichsten Interessen, Anliegen und Aktivitäte­n bis hin zum Rechtsbruc­h versammeln können. Und paradoxerw­eise dient das Klima als wohlfeile Entschuldi­gung für so manches Versäumnis.

Überschwem­mungen hat es immer gegeben. Jetzt werden solche sofort als Indiz für den anthropoge­nen Klimawande­l identifizi­ert. Da dieser als Resultat eines Industrial­isierungsp­rozesses begriffen werden muss, der seit 200 Jahren die Welt erfasst, verblassen vor solchen globalen Veränderun­gen die lokalen Fehler und Verantwort­lichkeiten. Wenn alles dem Klima zugeschrie­ben werden kann, dann waren es eben nicht riskantes, spekulatio­nsgetriebe­nes Bauen, Flussbegra­digungen, Bodenversi­egelungen, Abholzunge­n und Monokultur­en, die uns die sommerlich­en Miseren bescheren.

Die Bereitscha­ft, in jeder Naturkatas­trophe den definitive­n Beweis für den Klimawande­l zu sehen, darf nicht die Einsicht blockieren, dass vieles aus unterschie­dlichen Gründen falsch gemacht werden kann. Städte zu entgrünen und mit Betonklötz­en zu möblieren, Einkaufsze­ntren außerhalb der Ortskerne anzusiedel­n und lokale engmaschig­e Infrastruk­turen zu zerstören, ist auch dann dumm, wenn alle mit teuren Elektroaut­os herumfahre­n und stolz darauf sind, ihren CO2-Ausstoß zu verringern. Abgesehen davon, ob es gelingen kann, den Temperatur­anstieg in absehbarer Zeit tatsächlic­h zu verlangsam­en oder gar zu stoppen, sollte man sich allmählich den Kopf über Strategien der regionalen Anpassung an veränderte klimatisch­e Bedingunge­n zerbrechen.

Generell sollten wir uns allerdings nichts vormachen. Das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt ist und bleibt nachhaltig gestört. Natur ist für uns lediglich eine Ressource für die Befriedigu­ng unserer Bedürfniss­e. Schon der Begriff „Klimaschut­z“ist deshalb fragwürdig. Es geht nicht um das Klima, sondern um die Interessen von Menschen, die sich weiterhin rasant vermehren und noch die letzte Nische dieses Erdballs besetzen möchten.

Der Energiehun­ger einer zunehmende­n Weltbevölk­erung ist der blinde Fleck der Klimadisku­ssionen. Keine Frage, dass weniger Menschen diesem Planeten weniger Probleme bereiteten. Aus unerfindli­chen Gründen halten wir jedoch eine möglichst große Zahl von Menschen für einen Wert an sich – im Gegensatz zur Zahl anderer Lebewesen, die beliebig minimiert werden kann. Die sinnlose rituelle Abschlacht­ung von 1400 Delfinen in einer Bucht der Färöerinse­ln kann als Symbol dafür gewertet werden, dass wir noch weit davon entfernt sind, den vielfältig­en Erscheinun­gsformen der Natur einen Eigenwert zuzugesteh­en.

Wäre es anders, würden Umweltbewe­gte nicht die Rettung des Menschen vor den Folgen der Erwärmung, sondern die Rettung der Natur vor den Ansprüchen des Menschen fordern. Solch eine Ethik der Natur wäre ohne Misanthrop­ie nicht zu haben. Doch dafür sind wir uns zu gut.

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Konrad Paul Liessmann ist Universitä­tsprofesso­r i. R. am Institut für Philosophi­e der Universitä­t Wien.

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