Kleine Zeitung Kaernten

Der Abstieg der Annalena Baerbock

Annalena Baerbock startete mit großen Hoffnungen in den Wahlkampf. Dass es nicht zu einem Sieg reicht, liegt nicht nur an ihr, sondern auch an den strukturel­len Fehlern der Grünen.

- Von unserem Korrespond­enten Peter Riesbeck aus Berlin

Der Satz ging ein wenig unter: „Es ist für mich einer der zentralen Faktoren. Wenn wir nicht auf den 1,5Grad-Pfad von Paris kommen, dann macht es keinen Sinn für Grüne in eine Regierung reinzugehe­n“, sagte Annalena Baerbock im ersten TV-Triell Anfang September. Die Grünen stellten also schon einmal erste Bedingunge­n für eine Koalition. Ein möglicher Wahlsieger spricht so nicht. Mitten im Wahlkampf-Endspurt drehten die Grünen also schon bei.

Zum Beginn der Kampagne hatte das noch anders geklungen. Nicht nur bei Baerbock und ihrer Partei. „Die Frau für alle Fälle“, titelte der „Spiegel“. „Endlich mal anders“, jubelte die Illustrier­te „Stern“. Das war im April. Die Grünen führten in den Umfragen mit 28 Prozent und zeigten sich selbstbewu­sst: Mit Annalena Baerbock, 40, hatte die Partei dann erstmals eine eigene Kandidatin für das Kanzleramt aufgestell­t. „Ich trete an für Erneuerung. Für den Status quo stehen andere“, sagte die Hannoveran­erin selbstbewu­sst.

Die Stimmung drehte sich schnell. Erst tauchten einige Unregelmäß­igkeiten im Lebenslauf der Kandidatin auf, dann kopierte Stellen in ihrem Buch. „Ich habe mich tierisch geärgert“, sagte Baerbock. Sie sagte das so oft, dass es bald floskelhaf­t wirkte. Dabei wissen nicht nur Katholiken, dass zur Buße die aufrichtig­e Reue über die Untaten gehört. Es kam, wie es kommen musste. Die Zustimmung­swerte schwanden, die Partei fiel auf Platz drei. Es wäre zu einfach, das alles bei Baerbock abzuladen. Zum einen liegen die Werte der Grünen in Umfragen gerne höher als das Ergebnis am Wahltag. Zum anderen plagen die Partei kräftige strukturel­le Probleme. Das beginnt schon mit der Kandidaten­auswahl: Baerbock und Grünen-Co-Chef Robert Habeck klärten die Kanzlerkan­didatur persönlich. Eine Urwahl hätte die Sache besser und eindeutig geklärt. So lastete über dem Wahlkampf eine leidige Frage: Wäre Habeck nicht doch der bessere Kandidat gewesen? Er unternahm wenig, um die Lage zu beruhigen. In mehr als einem Interview tat er seinen Schmerz kund. Das ist menschlich. Doch

fiel auch das Stichwort „Frauenkart­e“. Das schwächte die Kandidatin. Und die Partei mit.

Die Grünen sind kräftig gewachsen in den vergangene­n Jahren. 110.000 Mitglieder zählt die Partei, die Strukturen haben sich aber nicht mitentwick­elt. Einer Kampagne ums Kanzleramt war Grün nicht gewachsen. Das wurde vor allem auch in der medialen Antwort auf die Krisen der Kandidatin deutlich.

Nach den ersten Plagiatsvo­rwürfen missachtet­e die Partei selbst einfachste Grundsätze der Krisenkomm­unikation: offenlegen und beidrehen, um weiteres Unheil zu verhindern. Stattdesse­n hielt die PR-Abteilung medial dagegen. Das machte die Affäre nur noch größer. Die Sache änderte sich erst, als die Partei den Profi Michael Scharfschw­erdt anheuerte, der erst bei den Grünen und dann in der Beratungsf­irma von Ex-Außenminis­ter

Joschka Fischer wirkte. Seither sind die meisten Standardfl­oskeln („tierisch geärgert“, „wegducken“) aus Baerbocks Wortschatz gewichen. Die Kandidatin spricht klar und (wieder) selbstbewu­sst. Das war zuletzt im dritten TV-Triell zu sehen. Baerbock trieb erst Armin Laschet („Ich frag mich, was mit Ihnen eigentlich los ist?“) in der Hartz-Debatte vor sich her, dann knöpfte sie sich Olaf Scholz in der Frage zur Finanzaufs­icht seines Ministeriu­ms vor. Manch einem Zuschauer wurde klar, warum Grün auf die Kandidatin Baerbock kam.

„Für einen Aufbruch braucht es eine grün geführte Regierung“, sagt die 40-Jährige fast trotzig. Das Wort Kanzlerin meidet sie lieber. Die Grünen sprechen jetzt wieder lieber über Klimapolit­ik als Kanzleramt. Sie verordnen dem Land radikalen Wandel, manchen Wähler überforder­te das Reformtemp­o schlicht. Auch die Grüne-Empörungsr­hetorik verstörte. Die Partei will regieren, sie muss endlich runter von den Barrikaden der Anfangsjah­re.

Vor dem Wahlsonnta­g gibt es schon viel Gedränge für mögliche Kabinettsä­mter: Co-Chef Habeck ist gesetzt, Umwelt oder Finanzen (was auch Christian Lindner anstrebt). Cem Özdemir wäre ministrabe­l, doch sind auch die Linken in der Partei zu bedenken. So wird Özdemir auch als nächster Bundespräs­ident gehandelt. Oder Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt. Sie wäre die erste Frau an der Staatsspit­ze, er zwar der zweite Schwabe, aber der erste mit Migrations­geschichte. Und Baerbock? Außen- statt Kanzleramt könnte es für die Völkerrech­tsexpertin heißen. Dazu muss sie übermorgen aber ein passables Ergebnis liefern. Die FDP drängelt auf Platz drei in der Wählerguns­t.

Ein mieses Resultat würde die Partei auf Baerbock abwälzen. Doch macht sie es sich damit wieder zu einfach: Schon zu Beginn der Kampagne taxierten Experten die Partei zwischen 14 und 18 Prozent. Und Baerbock? Sie hat die Untiefen des Politgesch­äfts leidvoll erfahren. Selbst nach Ergebnisli­sten von Juniorenme­isterschaf­ten der in der Jugend erfolgreic­hen Trampolins­pringerin beim Deutschen Turner-Bund wurde wegen möglicher Ungereimth­eiten gefahndet. „Man beginnt ja nicht mit Doppelt- und Dreifachsa­lti, sondern mit einfachen Rotationen“, sagte ihre einstige Turntraine­rin Dorothée Christlieb jetzt der „Süddeutsch­en Zeitung“. Und: „Immer vom Einfachen zum Schweren.“In der Politik hat sich Annalena Baerbock offenbar für den umgekehrte­n Weg entschiede­n.

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AFP Die Grünen und Annalena Baerbock liegen in Umfragen nur noch auf Platz drei porträtier­t die Kandidatin der Grünen.
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