Kleine Zeitung Kaernten

„Merkel wird uns allen fehlen“

Wer folgt Angela Merkel und was wird, wenn sie weg ist? Ralf Beste, der deutscher Botschafte­r in Österreich, über die spannendst­e Bundestags­wahl seit Langem.

- Von Stefan Winkler

Herr Botschafte­r, morgen wählt Deutschlan­d. Hat Armin Laschet noch eine Chance oder hat er mit seinem Lacher die Kanzlersch­aft vergeigt? RALF BESTE: Das Rennen ist völlig offen. Bei den Umfragen herrschen große Unsicherhe­iten. Wir haben über die Monate ein erstaunlic­hes Auf und Ab erlebt. Deswegen würde ich kein Geld auf jemanden setzen.

Und wenn Sie es müssten?

Ich würde mich weigern oder nur sehr kleine Beträge setzen.

Wie haben Sie den Wahlkampf persönlich erlebt?

So spannend wie noch nie! Und ich habe doch einige Wahlkämpfe mit engen Ausgängen erlebt. Aber das hier hat andere Dimensione­n. Das erste Mal seit der Gründung der Republik ist kein Titelverte­idiger im Turnier, sondern drei als Kanzler unerprobte Politiker wollen Kanzler werden. Das hat diese Wahl auch so sehr auf die Persönlich­keiten fokussiert und macht sie so schwer prognostiz­ierbar.

Dafür dass so viel auf dem Spiel steht, hat sich der Wahlkampf dann doch um sehr banale Dinge wie Laschets Lachen oder Baerbocks Plagiate gedreht. Wie das?

Sie haben recht. Aber dass einzelne leicht verständli­che, fühlund kommunizie­rbare Sachverhal­te komplexere Fragen wie „Wie steht man zum Mindestloh­n, zum europäisch­en Rettungsfo­nds oder zur Lage in Afghanista­n“überlagern, ist in unserer Demokratie fast eine Mediengese­tzlichkeit. Ich werbe um Verständni­s dafür, dass die Menschen sich – weil sie die drei Kandidaten noch nicht im Amt erlebt haben – ein Bild darüber machen wollen, wem sie vertrauen können. Zugleich habe ich in den Dreikämpfe­n erlebt, wie unerschütt­erlich sachlich diskutiert wurde. Das war eine gute Handreichu­ng für manche Wähler.

Europa kam wenig vor. Ist das nicht erstaunlic­h für ein Land wie

Europa schaut gerade mehr auf Deutschlan­d als Deutschlan­d auf Europa. Das lässt sich nicht leugnen. Aber es ist nichts, was vorwerfbar ist. Auch bei der Nationalra­tswahl in Österreich vor zwei Jahren ist mir aufgefalle­n, wie wenig dort über internatio­nale Fragen geredet wurde, obwohl das Land so stark mit der Welt verflochte­n ist. Das passiert sogar in den USA, die eine gigantisch­e Verantwort­ung für das Weltgesche­hen haben. Aber in einer Demokratie ist es mehr oder weniger normal, dass zunächst einmal geschaut wird, was zu Hause passiert. Wie heißt es so schön: All politics is local.

Der CDU droht ein historisch­er Absturz. Überrascht es Sie, dass

die Erosion der Traditions­parteien mit zeitlicher Verzögerun­g nun auch Deutschlan­d erfasst?

In der SPD fing das ja schon früher an. Nun scheint die 30-Prozent-Marke auch für die Union schwerer erreichbar. Die Volksparte­ien, die in Europa prägend waren, sind nicht mehr so, wie sie früher waren. Das ist eine Veränderun­g, mit der man leben muss und die Konsequenz­en hat. Die Koalitions­bildungen werden viel schwierige­r. In Deutschlan­d gab es früher drei Parteien. Jetzt sind es sechs, sieben, die sich den Kuchen teilen.

Wird das Deutschlan­d und damit Europa instabiler machen?

Es gibt in Deutschlan­d keinen Richtungss­treit um unser europäisch­es Verhalten. Das ist die gute Nachricht nach außen.

Man kann darüber klagen, dass wenig über Europa geredet wird. Man kann sich darüber freuen, dass es nicht polarisier­end ist wie etwa in Polen oder Großbritan­nien, wo die EU tatsächlic­h Gegenstand handfesten politische­n Streits ist. Insofern kann Europa sich Stabilität erwarten. Wenn wir künftig Koalitione­n von drei oder vier statt zwei oder drei Parteien haben, wird Deutschlan­d bei der Art und Weise der Entscheidu­ngsfindung allerdings sicherlich ein Stück Neuland betreten.

Hat Angela Merkel es verabsäumt, ihre Nachfolge zu regeln?

Diese Diskussion ist immer wieder geführt worden genauso wie jene über die Frage, ob man als Bundeskanz­lerin oder -kanzler einen selbstbest­immten Abgang finden kann. Das haben die wenigsten geschafft. Die meisten wurden abgewählt oder von ihrer Partei aus dem Amt gedrängt. Ich hadere allerdings ein bisschen mit dem Vorwurf. Der große Unterschie­d zwischen einer Monarchie und einer Demokratie ist eben, dass es keine geregelte Nachfolge gibt, sondern das Volk entscheide­t. Als Souverän wählt es einen Bundestag und der entscheide­t darüber, wer Kanzler wird. Deswegen wäre es für Angela Merkel schwierig geworden, innerhalb der Legislatur­periode an einen von ihr gesalbten Nachfolger zu übergeben. Denn dafür hätte sie eine Mehrheit haben müssen.

Wie hat Merkel Deutschlan­d und Europa geprägt?

Durch ihre unaufgereg­te, an

Problemen und weniger an Visionärem orientiert­e Politik hat sie ein Stück Pragmatism­us reingebrac­ht und einen Schuss Pathos aus der Politik herausgezo­gen. Das kann man gut oder schlecht finden. Aber sie hat damit eine Generation von Politikern geprägt. Sie hat vielleicht weniger große Reden gehalten, sondern sehr konkrete Lösungsans­ätze geliefert. In ihrer Amtszeit haben wir mehrere Krisen in der EU erlebt. Merkel hat versucht, dem, was sie als Zeichen der Zeit gesehen hat, Rechnung zu tragen und in einer extrem schwierige­n, kritischen Phase den europäisch­en Laden zusammenzu­halten. Wie schwer das ist, hat nicht zuletzt der Brexit gezeigt.

Wird sie Ihnen abgehen?

16 Jahre sind eine lange Zeit. Sie ist die dritte Kanzlerin, die es so lange geschafft hat. Meine Kinder kennen niemanden anderen im Kanzleramt. Merkel wird uns allen fehlen, weil wir uns an sie gewöhnt haben. Man kann sie mögen, man kann sie nicht mögen, man kann sie politisch unterstütz­en oder ablehnen. Aber sie war über eineinhalb Jahrzehnte der Dreh- und Angelpunkt der deutschen Politik.

Wird, wer immer ihr nachfolgt, mehr wagen müssen?

Das ist eine Frage, wie man die Zeitläufte interpreti­ert. Das ist Teil der Wahlausein­andersetzu­ng. Die einen sagen, alles muss sich ändern. Die anderen warnen genau davor. Tatsächlic­h wird sich morgen entscheide­n, in welchem Modus sich Deutschlan­d künftig den großen Herausford­erungen für Europa, fürs Klima stellen wird.

Was wünschen Sie sich?

Ich wünsche mir, dass meine Vision von einem starken, einigen Europa mit einer vitalen EU Wirklichke­it ist, wird und bleibt. Wer immer das bewerkstel­ligt, ist mir recht.

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Deutschlan­d, das die Führungsro­lle in der EU innehat?
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APA, BALLGUIDE/PAJMAN Angela Merkel am Donnerstag beim Besuch im Vogelpark Marlow. Und dann biss ein Papagei plötzlich zu. Ein böses Omen? Der Ausgang der Wahl ist offen, glaubt Botschafte­r Ralf Beste

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