„Merkel wird uns allen fehlen“
Wer folgt Angela Merkel und was wird, wenn sie weg ist? Ralf Beste, der deutscher Botschafter in Österreich, über die spannendste Bundestagswahl seit Langem.
Herr Botschafter, morgen wählt Deutschland. Hat Armin Laschet noch eine Chance oder hat er mit seinem Lacher die Kanzlerschaft vergeigt? RALF BESTE: Das Rennen ist völlig offen. Bei den Umfragen herrschen große Unsicherheiten. Wir haben über die Monate ein erstaunliches Auf und Ab erlebt. Deswegen würde ich kein Geld auf jemanden setzen.
Und wenn Sie es müssten?
Ich würde mich weigern oder nur sehr kleine Beträge setzen.
Wie haben Sie den Wahlkampf persönlich erlebt?
So spannend wie noch nie! Und ich habe doch einige Wahlkämpfe mit engen Ausgängen erlebt. Aber das hier hat andere Dimensionen. Das erste Mal seit der Gründung der Republik ist kein Titelverteidiger im Turnier, sondern drei als Kanzler unerprobte Politiker wollen Kanzler werden. Das hat diese Wahl auch so sehr auf die Persönlichkeiten fokussiert und macht sie so schwer prognostizierbar.
Dafür dass so viel auf dem Spiel steht, hat sich der Wahlkampf dann doch um sehr banale Dinge wie Laschets Lachen oder Baerbocks Plagiate gedreht. Wie das?
Sie haben recht. Aber dass einzelne leicht verständliche, fühlund kommunizierbare Sachverhalte komplexere Fragen wie „Wie steht man zum Mindestlohn, zum europäischen Rettungsfonds oder zur Lage in Afghanistan“überlagern, ist in unserer Demokratie fast eine Mediengesetzlichkeit. Ich werbe um Verständnis dafür, dass die Menschen sich – weil sie die drei Kandidaten noch nicht im Amt erlebt haben – ein Bild darüber machen wollen, wem sie vertrauen können. Zugleich habe ich in den Dreikämpfen erlebt, wie unerschütterlich sachlich diskutiert wurde. Das war eine gute Handreichung für manche Wähler.
Europa kam wenig vor. Ist das nicht erstaunlich für ein Land wie
Europa schaut gerade mehr auf Deutschland als Deutschland auf Europa. Das lässt sich nicht leugnen. Aber es ist nichts, was vorwerfbar ist. Auch bei der Nationalratswahl in Österreich vor zwei Jahren ist mir aufgefallen, wie wenig dort über internationale Fragen geredet wurde, obwohl das Land so stark mit der Welt verflochten ist. Das passiert sogar in den USA, die eine gigantische Verantwortung für das Weltgeschehen haben. Aber in einer Demokratie ist es mehr oder weniger normal, dass zunächst einmal geschaut wird, was zu Hause passiert. Wie heißt es so schön: All politics is local.
Der CDU droht ein historischer Absturz. Überrascht es Sie, dass
die Erosion der Traditionsparteien mit zeitlicher Verzögerung nun auch Deutschland erfasst?
In der SPD fing das ja schon früher an. Nun scheint die 30-Prozent-Marke auch für die Union schwerer erreichbar. Die Volksparteien, die in Europa prägend waren, sind nicht mehr so, wie sie früher waren. Das ist eine Veränderung, mit der man leben muss und die Konsequenzen hat. Die Koalitionsbildungen werden viel schwieriger. In Deutschland gab es früher drei Parteien. Jetzt sind es sechs, sieben, die sich den Kuchen teilen.
Wird das Deutschland und damit Europa instabiler machen?
Es gibt in Deutschland keinen Richtungsstreit um unser europäisches Verhalten. Das ist die gute Nachricht nach außen.
Man kann darüber klagen, dass wenig über Europa geredet wird. Man kann sich darüber freuen, dass es nicht polarisierend ist wie etwa in Polen oder Großbritannien, wo die EU tatsächlich Gegenstand handfesten politischen Streits ist. Insofern kann Europa sich Stabilität erwarten. Wenn wir künftig Koalitionen von drei oder vier statt zwei oder drei Parteien haben, wird Deutschland bei der Art und Weise der Entscheidungsfindung allerdings sicherlich ein Stück Neuland betreten.
Hat Angela Merkel es verabsäumt, ihre Nachfolge zu regeln?
Diese Diskussion ist immer wieder geführt worden genauso wie jene über die Frage, ob man als Bundeskanzlerin oder -kanzler einen selbstbestimmten Abgang finden kann. Das haben die wenigsten geschafft. Die meisten wurden abgewählt oder von ihrer Partei aus dem Amt gedrängt. Ich hadere allerdings ein bisschen mit dem Vorwurf. Der große Unterschied zwischen einer Monarchie und einer Demokratie ist eben, dass es keine geregelte Nachfolge gibt, sondern das Volk entscheidet. Als Souverän wählt es einen Bundestag und der entscheidet darüber, wer Kanzler wird. Deswegen wäre es für Angela Merkel schwierig geworden, innerhalb der Legislaturperiode an einen von ihr gesalbten Nachfolger zu übergeben. Denn dafür hätte sie eine Mehrheit haben müssen.
Wie hat Merkel Deutschland und Europa geprägt?
Durch ihre unaufgeregte, an
Problemen und weniger an Visionärem orientierte Politik hat sie ein Stück Pragmatismus reingebracht und einen Schuss Pathos aus der Politik herausgezogen. Das kann man gut oder schlecht finden. Aber sie hat damit eine Generation von Politikern geprägt. Sie hat vielleicht weniger große Reden gehalten, sondern sehr konkrete Lösungsansätze geliefert. In ihrer Amtszeit haben wir mehrere Krisen in der EU erlebt. Merkel hat versucht, dem, was sie als Zeichen der Zeit gesehen hat, Rechnung zu tragen und in einer extrem schwierigen, kritischen Phase den europäischen Laden zusammenzuhalten. Wie schwer das ist, hat nicht zuletzt der Brexit gezeigt.
Wird sie Ihnen abgehen?
16 Jahre sind eine lange Zeit. Sie ist die dritte Kanzlerin, die es so lange geschafft hat. Meine Kinder kennen niemanden anderen im Kanzleramt. Merkel wird uns allen fehlen, weil wir uns an sie gewöhnt haben. Man kann sie mögen, man kann sie nicht mögen, man kann sie politisch unterstützen oder ablehnen. Aber sie war über eineinhalb Jahrzehnte der Dreh- und Angelpunkt der deutschen Politik.
Wird, wer immer ihr nachfolgt, mehr wagen müssen?
Das ist eine Frage, wie man die Zeitläufte interpretiert. Das ist Teil der Wahlauseinandersetzung. Die einen sagen, alles muss sich ändern. Die anderen warnen genau davor. Tatsächlich wird sich morgen entscheiden, in welchem Modus sich Deutschland künftig den großen Herausforderungen für Europa, fürs Klima stellen wird.
Was wünschen Sie sich?
Ich wünsche mir, dass meine Vision von einem starken, einigen Europa mit einer vitalen EU Wirklichkeit ist, wird und bleibt. Wer immer das bewerkstelligt, ist mir recht.