Die Pollaks – eine außergewöhnliche Chronik
Wie Oscar und Marianne Pollak die österreichische Sozialdemokratie prägten.
Es ist der 30. August 1963, da Marianne Pollak, 72-jährig, Selbstmord begeht. Zwei Tage davor war ihr Mann Oscar an einem Herzanfall unerwartet verstorben. Marianne Pollak war für anderthalb Jahrzehnte Mitglied des Nationalrats der neuerstandenen Republik gewesen, war Frauenrechtlerin, leitende Redakteurin, Ehe- und Sexualberaterin, Vorkämpferin für die Abschaffung des berüchtigten „Abtreibungsparagrafen“144. Ihr in jeder Hinsicht außergewöhnliches Leben hatte sie, in geradezu symbiotischer Verflechtung, mit dem ihr inmitten der Katastrophe des Ersten Weltkriegs angetrauten Ehemann zugebracht – ein größtenteils dramatischabenteuerliches Leben, das sie über die politische Illegalität im Wien der Jahre 1934 bis 1936 nach Brüssel und Paris, schließlich, auf der Flucht vor der Gestapo, nach London führt. Der von den Pollaks geleitete Austrian Labour Club wird eines der politischkulturellen Zentren der britischen Hauptstadt.
Und doch sind beide zum ehestmöglichen Zeitpunkt wieder in Wien, wo Oscar seinen „angestammten“Posten als Chefredakteur der „Arbeiter-Zeitung“einnimmt. Kompromisslos, in permanenter Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Zensor und der russischen Besatzungsmacht – deren herausragender Kritiker Pollak wird – gestaltet er die AZ zur größten Tageszeitung des Landes: die Zeitung, die sich was traut.
D er Doyen der österreichischen Geschichtswissenschaften und langjährige Rektor der Karl-Franzens-Universität, Helmut Konrad, hat diese faszinierenden Lebensgeschichten in einer ebenso faszinierenden biografischen Studie festgehalten. Er konnte dabei auf einen bis dato wissenschaftlich nicht ausgewerteten Nachlass der Pollaks zurückgreifen. Es ist eine differenzierte, ungemein vielschichtige, ebenso anregend wie spannend zu lesende Abhandlung geworden, die kontroverse Thematiken keinesfalls ausspart, ihre Protagonisten aber stets im Kontext der (retrospektiv gelegentlich unfassbaren) polit-ökonomischen und kulturellen Entwicklungen der ersten beiden Drittel des 20. Jahrhunderts porträtiert. Ein Meisterwerk. Wolfgang Maderthaner
Der Historiker Wolfgang Maderthaner war bis 2019 Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs.