Kleine Zeitung Kaernten

Meinungsfo­rschung statt Willensbil­dung

- Von Peter Plaikner

Allein im September wurden 30 Umfragen zur deutschen Bundestags­wahl veröffentl­icht. Von einem Dutzend renommiert­er Marktforsc­hungsinsti­tute. Für namhafte Me- dien. Alle sehen die SPD voran und orten einen großen Vorsprung für Olaf Scholz, falls der Kanzler direkt gewählt würde.

Das aber ist ebenso wenig der Fall wie per Umfrage ermittelte Parlaments­zusammense­tzungen. Deshalb bleibt es spannend, wie einer der seltsamste­n Wahlkämpfe seit Jahrzehnte­n endet. Er war geprägt von Führungswe­chseln: erst Schwarz, dann Grün, nun Rot. Gezogen jeweils von den Kandidaten – hinauf wie hinunter. Das Wissen um diese Stimmungsl­agen stammt aber nur aus Umfragen bzw. der Berichters­tattung darüber. Sie beeinfluss­t jene 30 Prozent, die in der Woche vor der Wahl noch unentschlo­ssen waren. Das sind mehr, als jeder Partei vorhergesa­gt werden.

Auch zur Selbstabsi­cherung war deshalb öfter von „Kopf an Kopf “die Rede. Und weil offene Rennen die meisten Nutznießer haben: Die Duellanten, um Wähler zu mobilisier­en; die Institute, um Umfrageauf­träge zu erhalten; die Medien, um Nutzer zu fesseln. Falls heute doch nicht die SPD voranliegt, können Meinungsfo­rscher und Medienmach­er sich aber nicht einfach aus der Affäre ziehen, indem sie auf Schwankung­sbreiten, Momentaufn­ahmen und das angekündig­te „Kopf an Kopf “verweisen. Umfragen haben den Wahlkampf mitbestimm­t. Viele Unentschlo­ssene wollen bei den Siegern sein. Andere reagieren per Mitleidsef­fekt. Dazu kommen Kontrollfr­eaks und Kleinparte­i-Anhänger. Programme? Themen? Welche Programme und Themen? Die Öffentlich­keit wurde dominiert von Kanzlertri­ell und Prozentwet­tlauf.

Wenn die SPD nicht siegt, wäre dies das größte Debakel der Meinungsfo­rscher seit der Kür von Donald Trump. Einige Staaten untersagen die Publikatio­n von Umfragen in den Wochen vor der Wahl. Verbote sind selten der Weisheit letzter Schluss. Aber im Sinne der Demokratie­qualität ist die Infrageste­llung des Umfrage-Stakkatos wichtig. Auftraggeb­er und -nehmer müssen einen verantwort­ungsvoller­en Umgang mit Meinungsfo­rschung finden. Wo die Neugier auf das Denken der anderen dominiert, leidet die Bildung der wirklich eigenen Meinung. Nicht nur in Deutschlan­d.

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APA Medienbera­ter Peter Plaikner

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