Wie die Kommunisten leise Graz eroberten
Elke Kahr musste einst im Telefonbuch nachsehen, um überhaupt die Adresse der KPÖ zu finden. Heute schreibt sie eine beispiellose Erfolgsgeschichte fort – auf ihre eigene Weise.
Am Freitag vor dieser historischen Wahl sitzt KPÖ-Stadträtin Elke Kahr im Grazer Rathaus und ergeht sich in Selbstzweifeln: „Die Leute glauben, man ist für ewig in der Politik. Auch diesmal schreibt man uns 20 Prozent zu. Aber das ist noch lange nicht gesichert.“
Zwei Tage später sind es nicht 20, sondern fast 30 Prozent für die KPÖ. Erster Platz, Langzeitbürgermeister Nagl tritt zurück. Kahr steht, überwältigt vom Erfolg, vor den Mikrofonen: „Ich kann nur tausendmal danken.“
Graz kommunistisch – wie ist das möglich? Wer Kahr zuletzt im Wahlkampf begleiten wollte, bekam einen Teil der Antwort serviert: Sie sei den ganzen Tag mit Parteienverkehr beschäftigt, einen Wahlkampf im eigentlichen Sinn gebe es nicht, antwortete sie auf Anfrage. Ihre Arbeit habe sie in den letzten Wochen „gleich wie immer“gemacht: Sprechstunden abhalten, Menschen beraten, E-Mails beantworten.
Diese Art Nichtwahlkampf entspricht dem Politikverständnis der Partei, die sich mit konsequentem Ernst als Antithese zum Politikbetrieb stilisiert. Sie verweigert sich den abgenützten, vermeintlich alternativlosen Ritualen von Machtentfaltung und Machterhalt.
Das ist mühsam für die Konkurrenz, denn manchmal grenzt das zur Schau getragene Anderssein an Arbeitsverweigerung. Hohe Rathausbeamte rollen mit den Augen, wenn sie an verschleppte Entscheidungen und fehlende Konturen in den KPÖ-Arbeitsbereichen denken.
Aber für viele Politikverdrossene an der Wahlurne bietet genau dieser Stil einen Ausweg. „Helfen statt Reden“war schon das Motto des straßenbahnfahrenden Stadtrats Ernest Kaltenegger, mit dem die Grazer Kommunisten-Saga 1981 begann. Der war zu einer abgehalfterten Stadtpartei gestoßen, die ihre historischen Restbestände in Form eines letzten verbliebenen Gemeinderatsmandats über die Runden schleppte. Doch Kaltenegger, immer still, nett und hilfsbereit, lebte davon, von Freunden geschätzt und von Feinden unterschätzt zu werden.
Seine größte Leistung war, Gleichgeartete unter den Gleichgesinnten zu finden. Kahr begreift ihre Partei als „Hilfsorganisation, damit Leute zu ihrem Recht kommen“. Als sie einst mit 23 Jahren die Abendmatura nachmachte, wollte sie eigentlich Jus studieren. Sprachen, Geschichte und Geografie haben sie auch interessiert, aber mit Jus, so dachte Kahr, könne sie den Menschen besser helfen.
Die Grazerin hatte einen schwierigen Start ins Leben. Mit drei Jahren wurde sie von einem Schlosser und einer Verkäuferin adoptiert. Wie so oft diente die
Biografie als Triebfeder. Zu den Kommunisten fand sie „1979 oder 1980“: Aus dem Grazer Telefonbuch suchte sie die Adresse des KPÖ-Parteilokals „Volkshaus“heraus. „Eines Tages bin ich dann hinuntergegangen“, erinnert sie sich. Sie traf auf Kaltenegger und Franz-Stephan Parteder, den späteren KPÖLandesparteichef. Er ist bis heute ihr Lebensgefährte und Vater des gemeinsamen Sohnes. „Ich habe mich dort menschlich aufgehoben gefühlt.“
Parteder ist für Kahr so etwas wie der Nabel zur Welt: Wenn sie sich an den Frühstückstisch setzt, hat er schon alle Zeitungen gelesen, referiert Neues aus allen Erdteilen. Der Ex-Parteichef ist zwar in Pension, engagiert sich aber weiter, hilft Mandataren, schreibt Artikel. In der großen, kleinen Parteifamilie KPÖ legt man Wert auf Zusammenhalt. Kahr sagt Sätze wie: „In meiner Partei würde ich keinen Hader aushalten.“
Über mangelnden Zulauf klagt die Partei schon lange nicht mehr. Viele strömen zu den Siegern, aber nicht jeder ist erwünscht. Kahr beschreibt das Job-Profil: „Unsere Mandatare müssen nicht perfekt reden können, denn gut reden und blenden können viele. Herzensbildung und Anstand, Freundlichkeit und Menschlichkeit sind wichtiger.“So fand Kahr Mitstreiter wie Landtagsklubchefin Claudia Klimt-Weithaler oder den zweiten Grazer KPÖStadtrat Robert Krotzer.
Und die Ideologie? Die manifestiert sich nur indirekt. Etwa in der Bürgerberatung, wo sich die Verkehrsstadträtin Kahr – unbeeindruckt von der Kompetenzverteilung im Rathaus – nach wie vor ums Wohnen und Mieten kümmert. „Ich interveniere viel“, – ein Satz, den man von Politikern selten hört. Sie sei bestens vernetzt, kenne Immobilienmakler und Hausverwalter. Die riefen sogar bei ihr an, wenn sie Mieter suchten. Niemand wird vertröstet, niemand wird weitergeschickt. „Ich sehe mich tatsächlich als Dienerin der Leute.“
An den KPÖ-Wahlständen war Kahr übrigens dann doch anzutreffen – zwischendurch, wenn Mails und Telefonate erledigt waren. Sie sei aber sowieso jahrein, jahraus auf der Straße unterwegs: „Damit ich für die Leute greifbar bin.“