Lenkt uns Schicksal oder Zufall?
Viel Zuspruch für alle Künstler: Mit der Premiere von Verdis opulenter Oper „Die Macht des Schicksals“startet die Oper Graz vielversprechend in die neue Saison.
Opernlibretti sind oft anachronistisch, unlogisch oder banal. Manchmal stellen sie aber auch zeitlose Fragen, wie jene nach der „Macht des Schicksals“. Gibt es eine höhere Macht? Oder ist alles im Leben Zufall? Wo verorten wir uns zwischen Fatalismus und Voluntarismus? Oft wurde das Schicksal personifiziert, etwa als Göttin Fortuna.
Eine solche Figur findet sich auch auf dem Eisernen Vorhang der Grazer Oper; sie diente Regisseurin Eva-Maria Höckmayr als Inspiration: Schon während der Ouvertüre beginnen sich die Bilder des Vorhangs zu bewegen, Fortuna wird lebendig und steigt aus dem Bild. Es ist Mareike Jankowski in der Rolle der Wahrsagerin Preziosilla, die als laszive und launische Diva die Handelnden mit gewisser Lust in ihr Schicksal lockt.
Fesselnd wie Fortuna ist auch die Ouvertüre, die auf die kommenden Kontraste zwischen klanglicher Opulenz und lyrischer Zartheit in Verdis Partitur verweist und mit exzellenten Bläsersoli ankündigt, wie virtuos und souverän hier musiziert wird. Matteo Beltrami scheint bei seinem Debüt in Graz einen guten Draht zu Sängern und Orchester zu haben und leitet das Werk sensibel und inspiriert.
Der Plot ist rasch erzählt: Leonora liebt Don Alvaro. Dieser wird wegen seiner Herkunft vom Vater abgelehnt. Das junge Paar will fliehen, der Vater betritt die Szene und stirbt durch einen Schuss, der sich aus Alvaros zufällig (oder schicksalhaft?) löst. Leonoras Bruder schwört Rache: Eine Verfolgungsjagd, Kriegswirren und unglückliche Fügungen folgen.
Ob es sich tatsächlich um „Fügungen“handelt, wird von Höckmayr kritisch hinterfragt. Ihre Inszenierung ist klug, voll eindringlicher Bilder und starker Symbolik, dabei aber nicht überfrachtet. Das Dramatische, Unheilvolle des Librettos findet in Bühnenbild und Videodesign von Momme Hinrichs seine stimmige, (nicht gekünstelt) originelle Entsprechung. Die Kostüme von Julia Rösler definieren Status und Rolle der jeweiligen Person passend.
Viel beklatscht wurde auch die Sängerriege, die sowohl geWaffe
sanglich als auch darstellerisch überzeugte: Wilfried Zelinka gab den gütigen, dann zornigen Vater, Aurelia Florian betörte in wunderbaren Arien als Leonora, Aldo Di Toro als vitaler Don Alvaro. Jordan Shanahan nutzte seinen kraftvollen Bariton für eine großspurige, selbstsichere Darstellung des Don Carlo di Vargas. Richtig entfalten konnte sich Neven Crnic´ als Fra Melitone bei Moralpredigt und Armenausspeisung. Timo Riihonens volltönender Bass passt ideal zur Rolle des Padre Guardiano. Exzellent besetzt sind auch die kleineren Rollen mit Ivan Oreˇscˇanin, Corina Koller, Mario Lerchenberger und Dariusz Perczak. Nicht zu vergessen der großartige Chor der Grazer Oper, der von Bernhard Schneider einstudiert wurde.
Zur Frage nach dem Schicksal bietet die Verdi-Oper keine Lösung. Aber sie vermittelt, dass Standesdünkel, Vorurteile, falsche Ehrbegriffe, Obsessionen, Rachlust und Gier das vermeintliche „Schicksal“stärker lenken als eine höhere Macht.