„Es liegt an uns, diese Strukturen aufzubrechen“
Weltweit befassen sich viele Projekte mit der Prävention von Gewalt an Frauen. Petra Erian vom Frauenhaus Klagenfurt nimmt die Gesellschaft in die Pflicht.
Ein schrecklicher Mordfall an einer Rumänin in Villach hat zuletzt für Bestürzung in ganz Österreich gesorgt. Ist das aus Ihrer Sicht nur die Spitze des Eisbergs beziehungsweise das, was öffentlich sichtbar wird? Oder handelt es sich hier um tragische Einzelschicksale?
PETRA ERIAN: Sie meinen, dass durch den Mord an einer Frau die Gewalt erst sichtbar wird – dann muss man sich fragen, ob bis dato 28 Femizide und 44 Mordversuche an Frauen in Österreich die Spitze eines Eisberges bedeuten?
Hat die Corona-Pandemie die Gewalt an Frauen in Kärnten verschärft und gibt es seither mehr Frauen, die bei Ihnen Schutz suchen?
Ja, seit Beginn der Pandemie haben vermehrt Frauen unsere Einrichtung aufgesucht. Ein Großteil von ihnen führte die vermehrten gewalttätigen Eskalationen im häuslichen Bereich auf das enge Zusammenleben während des Lockdowns und auf die Folgen der Pandemie zurück. Viele Frauen scheinen aber aufgrund der allgemeinen Verunsicherungen oft länger „auszuharren“und holen sich erst Hilfe, wenn die Gewalt bereits sehr schwer ist.
Kann man die Täter und Opfer einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe zuordnen?
Nein, wir betreuen Frauen aus unterschiedlichsten sozialen Schichten. Wobei Frauen aus der gutbürgerlichen Mittelschicht unser Unterstützungsangebot leider nur selten annehmen. Hier ist die Scham und somit die Dunkelziffer sehr hoch.
Wie häufig haben Sie es mit Wiederholungstätern zu tun?
Es kommt sehr häufig vor, dass Frauen unsere Einrichtung aufsuchen, deren Gefährder uns bereits bekannt ist.
Welche Fehler machen Gesellschaft und Politik im Umgang mit Tätern, Opfern und den Handlungen selbst?
Patriarchale Strukturen und veraltete Rollenbilder werden der Bevölkerung durch Sprache vermittelt, vor allem bei Gewalt an Frauen ist diese oft verharmlosend. In den Medien ist häufig von Eifersuchtsdramen oder Beziehungstaten die Rede. Das Täterverhalten wird so gerechtfertigt und es kommt zu einer Täter-Opfer-Umkehr. Oft muss sich die misshandelte Frau rechtfertigen: sei es wegen ihrer Kleidung oder sie hat nicht so „funktioniert“, wie sie es sollte.
Seit Anfang September sind Gewalttäter gesetzlich verpflichtet,
eine Beratung in Anspruch zu nehmen. Ist das aus Ihrer Sicht ein geeignetes Mittel, um weitere Gewalttaten zu verhindern oder zumindest deren Auftreten einzudämmen?
Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, um das Bewusstsein für Gewalttaten an Frauen zu schaffen. Dennoch braucht es aber weitaus mehr Maßnahmen, um Gewalt an Frauen zu verhindern.
Wie hoch schätzen Sie die Dunkelziffer der Gewalttaten innerhalb von Familien und Partnerschaften in Kärnten ein?
Sehr hoch. Da gewaltvolle Übergriffe in der Familie meist noch als Privatsache gesehen werden. Über Gewalt zu sprechen und sich Hilfe zu holen ist darüber hinaus für viele Frauen sehr beschämend.
Welche Taten werden Ihrer Erfahrung nach am häufigsten verschwiegen?
Am häufigsten wird sexuelle Belästigung und Gewalt verschwiegen. Dies liegt oft an der daraus folgenden Traumatisierung, aber auch an gesellschaftlichen Strukturen. Die Opfer schämen sich dafür, was ihnen passiert ist. Das Wahr- und Ernstnehmen sexueller Übergriffe spielt hierbei eine große Rolle, da auch „kleine“Vorfälle, wie die Sexualisierung des weiblichen Körpers durch Sprüche oder unangenehme Blicke, große Auswirkungen haben können. Keine Form eines sexuellen Übergriffs sollte als „normal“wahrgenommen werden. Es liegt an uns, diese Strukturen aufzubrechen!
Welche Maßnahmen wären in Zukunft noch nötig, um Gewalt an Frauen zu verhindern oder zumindest einzudämmen?
Femizide sind Ausdruck struktureller Gewalt. Das heißt, es muss das traditionelle Rollenbild der Frau in der Gesellschaft verändert werden. Es muss eine klare Haltung der Politik gegen Gewalt geben, denn das Ernstnehmen der Opfer spielt eine wesentliche Rolle und dazu gehören Unterstützungsangebote für die Betroffenen, die Sensibilisierung von Polizei, Justiz, Pädagogen sowie der ganzen Gesellschaft.