Auch ganz oben gibt es Licht und Schatten
Auf internationaler Bühne rückte Sebastian Kurz das kleine Österreich immer wieder ins Scheinwerferlicht. Anfangs überwog staunender Beifall, dann kamen die Irritationen.
Schon als Außenminister muss Sebastian Kurz schlagartig aufgefallen sein. Mit 27 ins Ministeramt, das soll einmal jemand nachmachen. Der Altersschnitt auf dem üblichen „Family Photo“bei den Ratstreffen dürfte rapide gesunken sein, so wie später auf den EU-Gipfeln der Staats- und Regierungschefs. Im Dezember 2017 wurde die Koalitionsregierung von ÖVP und FPÖ angelobt, am 1. Juli 2018 übernahm Österreich die EU-Ratspräsidentschaft.
Längst schon war Europa zu dieser Zeit an einem Punkt angekommen, an dem die Beteiligung einer Rechtspartei wie der FPÖ an einer Regierung kein Nasenrümpfen mehr auslöste. Die EU hatte nach gerade einmal überstandener Finanzkrise noch schwer an der Migrationskrise zu arbeiten, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hatte der Union ungefragt den Leitspruch „Wir schaffen das“umgehängt. Kurz kam und zeigte klare Kante. Österreichs Präsidentschaft war geprägt vom „Schutz der Außengrenzen“, vom Frontex-Ausbau, vom angeblichen Schließen der Fluchtrouten und von der Idee, Anlandezentren in Drittstaaten zu schaffen.
Hatte man davor einen rigiden Asylkurs fast nur von rechts der Mitte vernommen und damit auf gewisse Weise aus dem „Schmuddeleck“der Diplomatie, machte der junge österreichische Kanzler die neuen Formeln glatter, bekömmlicher, salonfähiger. Er kann es sich erlauben, selbst Rettungsaktionen im Mittelmeer als „NGOWahnsinn“zu bezeichnen. Kurz avanciert zum Shootingstar der Konservativen, er repräsentierte die neue, wache Generation, die nicht mehr in den alten Denkmustern gefangen sein will und doch auf klassische populistische Muster setzt. Das gefällt unter anderem Donald Trump, der ihn ins Weiße Haus einlud. In deutschen Medien, allen voran der „Bild“, wird Kurz als Held gefeiert, im EVPWahlkampf zur EU-Wahl holt ihn EVP-Fraktionschef Manfred Weber an seine Seite. Kurz glänzt, Angela Merkel scheint daneben im Schatten zu stehen.
Der harte Kurs findet innerhalb der EU viel Gefallen, zumal sich Österreich als „Brückenbauer“positioniert und damit vor allem die Nachbarn im Osten, in Gestalt der Visegrád-Länder, im Dialog hält.
Kurz gelingt es immer wieder, innerhalb der EU-Länder neue Zweckgemeinschaften zu schmieden; das verschafft ihm Anerkennung, kann aber auch zum Bumerang werden. Deutlich sichtbar wird das im Juli 2020, als die EU fast schon verzweifelt inmitten der ersten Pandemiephase um das langjährige Budget und den Wiederaufbauplan kämpft. Kurz ist zusammen mit dem Niederländer Mark Rutte treibende Kraft der „Frugalen Vier“und torpediert
dabei die großen Pläne von Deutschland und Frankreich. Nettozahler Österreich will möglichst viel für sich selbst herausschlagen und wendet sich gegen eine „Schuldenunion“, das heißt aber, dass die Hilfe für notleidende Länder wie Italien und Spanien geringer ausfällt als geplant. Als Kurz beim Budgetgipfel den Saal für ein Telefonat verlässt, schimpft Emanuel Macron: „Seht ihr? Es ist ihm egal. Er hört den anderen nicht zu, hat eine schlechte Haltung. Er kümmert sich um seine Presse und basta.“Österreich wird als Blockierer wahrgenommen.
Das gehört durchaus zum politischen Geschäft. Doch immer wieder sorgen Entscheidungen für Irritationen, etwa die Abkehr vom UN-Migrationspakt und schließlich die verstörenden Vorwürfe rund um die EUImpfstoffbeschaffung. Kurz hatte bereits für Verwunderung gesorgt, als er im Alleingang Sputnik kaufen wollte (dazu sollte es nie kommen), als er aber gemeinsam mit fünf osteuropäischen Staaten einen „geheimen Impfstoffbasar“und ungleiche Verteilung der Impfdosen anprangert, die bloß dem ungeschickten Verhandeln der eigenen Leute zuzuschreiben war, ist man in Brüssel überaus empört. Der junge Kanzler, inzwischen zum zweiten Mal im Amt, ist immer noch für Aufmacher in „Politico“oder der „Financial Times“gut – aber der Wind hat sich gedreht.