Kleine Zeitung Kaernten

Der Kanzler und das Comeback der Länder

In der ÖVP haben sich die Machtzentr­en wieder tektonisch verschoben. Das zeigt die Zusammense­tzung des neuen ÖVP-Teams. Wer keine innerparte­iliche Hausmacht besaß, hatte das Nachsehen.

- Von Michael Jungwirth

Nach dem Abgang von Sebastian Kurz feiern die Länder ein fulminante­s Comeback. Bereits um 7.45 Uhr versammelt­en sich die sechs schwarzen Landeshaup­tleute in der Politische­n Akademie unweit von Schönbrunn, um einen Schlachtpl­an für die Sitzung des Parteivors­tands zu entwickeln. Karl Nehammer verließ erst zu dem Zeitpunkt im Polizeikon­voi sein Refugium in Hietzing, Sebastian Kurz weilte wohl noch zu Hause – das SpringerSc­hlössl liegt in Gehweite von der Kurz-Wohnung, wo der bisherige ÖVP-Chef, seine Freundin Susanne und Sohn Konstantin die erste gemeinsame Nacht verbrachte­n.

Um 8.15 Uhr stießen Nehammer, Klubobmann August Wöginger sowie Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka zur Runde der Landeshaup­tleute dazu, um die neue Ministerli­ste festzuzurr­en. Nicht dabei jene Länder, die keinen schwarzen Landeshaup­tmann stellen, also Kärnten, Burgenland, Wien sowie die Chefs der ÖVP-Bünde. Kurz und Alexander Schallenbe­rg trudelten knapp vor der für neun Uhr anberaumte­n Sitzung in der Politische­n Akademie ein.

Als große Gewinnerin der Rochade geht Niederöste­rreichs Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner, die in mehr als einem Jahr Wahlen zu schlagen hat, hervor. Nehammer ist zwar Wiener, wurde jedoch in Niederöste­rreich politisch sozialisie­rt. Das Innenminis­terium zählt zur niederöste­rreichisch­en Erbpacht, Erwin Prölls ehemaliger Landesgesc­häftsführe­r Gerhard Karner, der sich als „Mann fürs Grobe“einen wenig schmeichel­haften Ruf erarbeitet hat, übersiedel­t ins Palais Modena, die niederöste­rreichisch­e Bauernbünd­lerin Klaudia Tanner bleibt Verteidigu­ngsministe­rin.

Angesichts der niederöste­rreichisch­en Übermacht war klar, dass nach dem Abgang von Christine Aschbacher die Steiermark wieder einen Platz im ÖVP-Regierungs

erhalten sollte. Nach Informatio­nen der Kleinen Zeitung bot Nehammer den Steirern drei Optionen an: Wirtschaft, Finanzen oder Bildung. Blümel war noch am Vorabend einer drohenden Demontage zuvorgekom­men und hatte sich aus der Politik zurückgezo­gen.

Margarete Schramböck stand ganz oben auf der politische­n Abschussli­ste, weder Wirtschaft­skammer noch Industriel­lenvereini­gung hätten ihr eine Träne nachgewein­t. Wackelkand­idatin war auch Elisabeth Köstinger, die zum inneren Kreis des bisherigen Parteichef­s gehört und mit ein paar unqualifiz­ierten Bemerkunge­n („halte nichts von Mücksteins Äußerungen“) sogar bei ÖVPGranden für Kopfschütt­eln gesorgt hatte. Heinz Faßmann wollte zwar bleiben, versichert­e dem designiert­en Kanzler aber, dass er einer Neuaufstel­lung nicht im Weg stehen wolle. Da sich Hermann Schützenhö­fer mit dem Verweis auf die Steiermark als führenden Universitä­tsstandort für das Bildungsre­ssort entschied, blieb Faßmann auf der Strecke. Das Rennen machte der Grazer Uni-Rektor Martin Polaschek, der via Skype zur Sitzung des Parteivors­tands zugeschalt­et wurde.

Offenkundi­g um die Vorarlberg­er zu besänftige­n, die über die überrasche­nde Demontage des im Ländle durchwegs populären Außenminis­ters Michael Linhart nicht sehr erfreut waren, wurde Staatssekr­etär Magnus Brunner, der bisher kaum in Erscheinun­g getreten ist, zum Finanzmini­ster aufgewerte­t. Linhart musste für den bisherigen Kanzler Alexander Schallenbe­rg Platz machen.

Im Jahr 2011 holte ÖVP-Chef Michael Spindelegg­er den damals erst 24-jährigen Sebastian Kurz in die Regierung und machte ihn zum Staatssekr­etär im Innenminis­terium. Nehammer folgte dem Beispiel, in dem er die 26-jährige Oberösterr­eicherin Claudia Plakolm, Chefin der Jungen ÖVP, zur Staatssekr­etärin für Jugendfrag­en bestellte. Köstinger und Schramböck blieben dann doch der Bundesregi­eteam rung erhalten – letztere auf Betreiben von Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter.

Knapp vor der Pressekonf­erenz tauchte Nehammers Ehefrau Katharina am Ort des Geschehens auf, um ihrem Mann vor dem entscheide­nden Auftritt den Rücken zu stärken. Die Tochter des legendären ORF-Journalist­en Peter Nidetzky (Aktenzeich­en XY, Mondlandun­g) ist ein politische­r Vollprofi, sie arbeitete im Kabinett von Sobotka und später von Tanner. Nicht nur die Gattin des neuen Kanzlers, auch deren beide Kinder stehen unter Polizeisch­utz – wie im Übrigen die halbe Regierung wegen Drohungen aus militanten Coronakrei­sen.

Angesichts der wachsenden gesellscha­ftlichen Polarisier­ungen war Nehammer in seiner ersten Wortmeldun­g um einen Brückensch­lag bemüht. Anders als Kurz wandte er sich nicht nur an die Österreich­erinnen und Österreich­er, sondern zusätzlich an „jene, die in Österreich leben“. Immerhin 1,5 Millionen Menschen.

Planbar war das alles nicht, aber es ist eine großartige, taffe Herausford­erung, auf die ich mich sehr freue. Es ist eine große Ehre.

Bundeskanz­ler Karl Nehammer

Mitten in einer Pandemie ist nicht die Zeit dafür, sich über Marketingf­ragen Gedanken

zu machen.

Karl Nehammer will nicht an der türkisen Parteifarb­e

rütteln

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