Der Kanzler und das Comeback der Länder
In der ÖVP haben sich die Machtzentren wieder tektonisch verschoben. Das zeigt die Zusammensetzung des neuen ÖVP-Teams. Wer keine innerparteiliche Hausmacht besaß, hatte das Nachsehen.
Nach dem Abgang von Sebastian Kurz feiern die Länder ein fulminantes Comeback. Bereits um 7.45 Uhr versammelten sich die sechs schwarzen Landeshauptleute in der Politischen Akademie unweit von Schönbrunn, um einen Schlachtplan für die Sitzung des Parteivorstands zu entwickeln. Karl Nehammer verließ erst zu dem Zeitpunkt im Polizeikonvoi sein Refugium in Hietzing, Sebastian Kurz weilte wohl noch zu Hause – das SpringerSchlössl liegt in Gehweite von der Kurz-Wohnung, wo der bisherige ÖVP-Chef, seine Freundin Susanne und Sohn Konstantin die erste gemeinsame Nacht verbrachten.
Um 8.15 Uhr stießen Nehammer, Klubobmann August Wöginger sowie Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka zur Runde der Landeshauptleute dazu, um die neue Ministerliste festzuzurren. Nicht dabei jene Länder, die keinen schwarzen Landeshauptmann stellen, also Kärnten, Burgenland, Wien sowie die Chefs der ÖVP-Bünde. Kurz und Alexander Schallenberg trudelten knapp vor der für neun Uhr anberaumten Sitzung in der Politischen Akademie ein.
Als große Gewinnerin der Rochade geht Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die in mehr als einem Jahr Wahlen zu schlagen hat, hervor. Nehammer ist zwar Wiener, wurde jedoch in Niederösterreich politisch sozialisiert. Das Innenministerium zählt zur niederösterreichischen Erbpacht, Erwin Prölls ehemaliger Landesgeschäftsführer Gerhard Karner, der sich als „Mann fürs Grobe“einen wenig schmeichelhaften Ruf erarbeitet hat, übersiedelt ins Palais Modena, die niederösterreichische Bauernbündlerin Klaudia Tanner bleibt Verteidigungsministerin.
Angesichts der niederösterreichischen Übermacht war klar, dass nach dem Abgang von Christine Aschbacher die Steiermark wieder einen Platz im ÖVP-Regierungs
erhalten sollte. Nach Informationen der Kleinen Zeitung bot Nehammer den Steirern drei Optionen an: Wirtschaft, Finanzen oder Bildung. Blümel war noch am Vorabend einer drohenden Demontage zuvorgekommen und hatte sich aus der Politik zurückgezogen.
Margarete Schramböck stand ganz oben auf der politischen Abschussliste, weder Wirtschaftskammer noch Industriellenvereinigung hätten ihr eine Träne nachgeweint. Wackelkandidatin war auch Elisabeth Köstinger, die zum inneren Kreis des bisherigen Parteichefs gehört und mit ein paar unqualifizierten Bemerkungen („halte nichts von Mücksteins Äußerungen“) sogar bei ÖVPGranden für Kopfschütteln gesorgt hatte. Heinz Faßmann wollte zwar bleiben, versicherte dem designierten Kanzler aber, dass er einer Neuaufstellung nicht im Weg stehen wolle. Da sich Hermann Schützenhöfer mit dem Verweis auf die Steiermark als führenden Universitätsstandort für das Bildungsressort entschied, blieb Faßmann auf der Strecke. Das Rennen machte der Grazer Uni-Rektor Martin Polaschek, der via Skype zur Sitzung des Parteivorstands zugeschaltet wurde.
Offenkundig um die Vorarlberger zu besänftigen, die über die überraschende Demontage des im Ländle durchwegs populären Außenministers Michael Linhart nicht sehr erfreut waren, wurde Staatssekretär Magnus Brunner, der bisher kaum in Erscheinung getreten ist, zum Finanzminister aufgewertet. Linhart musste für den bisherigen Kanzler Alexander Schallenberg Platz machen.
Im Jahr 2011 holte ÖVP-Chef Michael Spindelegger den damals erst 24-jährigen Sebastian Kurz in die Regierung und machte ihn zum Staatssekretär im Innenministerium. Nehammer folgte dem Beispiel, in dem er die 26-jährige Oberösterreicherin Claudia Plakolm, Chefin der Jungen ÖVP, zur Staatssekretärin für Jugendfragen bestellte. Köstinger und Schramböck blieben dann doch der Bundesregieteam rung erhalten – letztere auf Betreiben von Tirols Landeshauptmann Günther Platter.
Knapp vor der Pressekonferenz tauchte Nehammers Ehefrau Katharina am Ort des Geschehens auf, um ihrem Mann vor dem entscheidenden Auftritt den Rücken zu stärken. Die Tochter des legendären ORF-Journalisten Peter Nidetzky (Aktenzeichen XY, Mondlandung) ist ein politischer Vollprofi, sie arbeitete im Kabinett von Sobotka und später von Tanner. Nicht nur die Gattin des neuen Kanzlers, auch deren beide Kinder stehen unter Polizeischutz – wie im Übrigen die halbe Regierung wegen Drohungen aus militanten Coronakreisen.
Angesichts der wachsenden gesellschaftlichen Polarisierungen war Nehammer in seiner ersten Wortmeldung um einen Brückenschlag bemüht. Anders als Kurz wandte er sich nicht nur an die Österreicherinnen und Österreicher, sondern zusätzlich an „jene, die in Österreich leben“. Immerhin 1,5 Millionen Menschen.
Planbar war das alles nicht, aber es ist eine großartige, taffe Herausforderung, auf die ich mich sehr freue. Es ist eine große Ehre.
Bundeskanzler Karl Nehammer
Mitten in einer Pandemie ist nicht die Zeit dafür, sich über Marketingfragen Gedanken
zu machen.
Karl Nehammer will nicht an der türkisen Parteifarbe
rütteln