Der stille Brüter
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hat zur russischen Aggression an der Grenze zur Ukraine zu lange geschwiegen. Das weckt Zweifel an der Zuverlässigkeit der Bundesrepublik.
Endlich. Am Sonntag kam das klärende Wort. „Eine Verletzung der Souveränität der Ukraine wird harte Konsequenzen mit sich bringen“, erklärte der deutsche Kanzler Olaf Scholz. Er ist damit auf der Linie mit den westlichen Verbündeten von Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron über den britischen Premier Boris Johnson bis zu US-Präsident Joe Biden.
Lang hatte sich Scholz zurückgehalten. Zu lang. Nun schafft er vor seiner Reise in die USA Klarheit. Die lange Stille liegt am Führungsstil des neuen Kanzlers. Scholz gibt den stillen Brüter. Er will in seiner Dreierkoalition eher moderieren als den Leader geben. Aber sein Zaudern ruft daheim Kritik hervor. „Wo ist Scholz?“, wurde zum beliebten Meme in sozialen Medien. Scholz mag das verschmerzen. Außenpolitisch ist sein Schweigen gravierender. Es weckt ernste Zweifel an der Zuverlässigkeit Deutschlands.
Da ist etwa die Frage nach Waffenlieferungen an die Ukraine. Der grüne Vizekanzler Robert Habeck hatte sie schon im Vorjahr aufgebracht. Und war heftig kritisiert worden. Nun liefert Deutschland 5.000 Helme und ein Lazarett an die Ukraine. Und erntet international Häme.
Die Lage freilich ist verzwickt. Etliche wie der Historiker Götz Aly lehnen Waffenlieferungen unter dem Verweis auf den deutschen Überfall auf die Sowjetunion ab. Andere wie der frühere Außenminister Joschka Fischer leiten aus dem historischen Imperativ des „Nie wieder“die Pflicht zur Unterstützung ab. Militärische Interventionen haben von Libyen über Afghanistan bis Mali keine Stabilisierung gebracht. Das trifft zu. Aber daraus abzuleiten, andere einer völkerrechtswidrigen Aggression zu überlassen, ist irrig. Deutschland sollte Kiew mit Defensivwaffen unterstützen. Wenigstens symbolisch.
Ein zweiter Aspekt ist nicht minder unproblematisch. Die deutsche Russland-Politik, insbesondere die der SPD. Der Westen hat Russlands-Sicherheitsinteressen verkannt. Spätestens seit dem Auftritt Wladimir Putins auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 hätte die Ostpolitik von Nato und EU Russland stärker einbeziehen müssen. Die deutschen Sozialdemokraten sind in der Russland-Politik gespalten. Auch das erschwert Scholz das Handeln. Die Verwerfungslinien sind älter als die Partei. Liberale sahen schon im 19. Jahrhundert Russland als Hort des Illiberalen. Realpolitiker wie Bismarck wollten es als Verbündeten – auch gegen westliche Neuerungen. In der SPD geht es um das Erbe der Entspannungspolitik der 1970erJahre. Schon damals spielten ökonomische Interessen eine Rolle. Die Idee vom Wandel durch Handel ist aber etwas anderes als die Liebedienerei des Lobbyisten Gerhard Schröder.
Nach den USA reist Scholz nach Kiew und Moskau. Drei Chancen, Missverständnisse klarzustellen. Er und die SPD haben sich in der Hartz-Politik von Schröder distanziert. Nun muss das auch in der Außenpolitik folgen. Das heißt nicht, dass mit Russland nicht verhandelt wird. Wohl aber, dass deutsche Politik nicht käuflich ist.