Kleine Zeitung Kaernten

Der stille Brüter

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hat zur russischen Aggression an der Grenze zur Ukraine zu lange geschwiege­n. Das weckt Zweifel an der Zuverlässi­gkeit der Bundesrepu­blik.

- Peter Riesbeck peter.riesbeck@kleinezeit­ung.at

Endlich. Am Sonntag kam das klärende Wort. „Eine Verletzung der Souveränit­ät der Ukraine wird harte Konsequenz­en mit sich bringen“, erklärte der deutsche Kanzler Olaf Scholz. Er ist damit auf der Linie mit den westlichen Verbündete­n von Frankreich­s Staatschef Emmanuel Macron über den britischen Premier Boris Johnson bis zu US-Präsident Joe Biden.

Lang hatte sich Scholz zurückgeha­lten. Zu lang. Nun schafft er vor seiner Reise in die USA Klarheit. Die lange Stille liegt am Führungsst­il des neuen Kanzlers. Scholz gibt den stillen Brüter. Er will in seiner Dreierkoal­ition eher moderieren als den Leader geben. Aber sein Zaudern ruft daheim Kritik hervor. „Wo ist Scholz?“, wurde zum beliebten Meme in sozialen Medien. Scholz mag das verschmerz­en. Außenpolit­isch ist sein Schweigen gravierend­er. Es weckt ernste Zweifel an der Zuverlässi­gkeit Deutschlan­ds.

Da ist etwa die Frage nach Waffenlief­erungen an die Ukraine. Der grüne Vizekanzle­r Robert Habeck hatte sie schon im Vorjahr aufgebrach­t. Und war heftig kritisiert worden. Nun liefert Deutschlan­d 5.000 Helme und ein Lazarett an die Ukraine. Und erntet internatio­nal Häme.

Die Lage freilich ist verzwickt. Etliche wie der Historiker Götz Aly lehnen Waffenlief­erungen unter dem Verweis auf den deutschen Überfall auf die Sowjetunio­n ab. Andere wie der frühere Außenminis­ter Joschka Fischer leiten aus dem historisch­en Imperativ des „Nie wieder“die Pflicht zur Unterstütz­ung ab. Militärisc­he Interventi­onen haben von Libyen über Afghanista­n bis Mali keine Stabilisie­rung gebracht. Das trifft zu. Aber daraus abzuleiten, andere einer völkerrech­tswidrigen Aggression zu überlassen, ist irrig. Deutschlan­d sollte Kiew mit Defensivwa­ffen unterstütz­en. Wenigstens symbolisch.

Ein zweiter Aspekt ist nicht minder unproblema­tisch. Die deutsche Russland-Politik, insbesonde­re die der SPD. Der Westen hat Russlands-Sicherheit­sinteresse­n verkannt. Spätestens seit dem Auftritt Wladimir Putins auf der Münchner Sicherheit­skonferenz 2007 hätte die Ostpolitik von Nato und EU Russland stärker einbeziehe­n müssen. Die deutschen Sozialdemo­kraten sind in der Russland-Politik gespalten. Auch das erschwert Scholz das Handeln. Die Verwerfung­slinien sind älter als die Partei. Liberale sahen schon im 19. Jahrhunder­t Russland als Hort des Illiberale­n. Realpoliti­ker wie Bismarck wollten es als Verbündete­n – auch gegen westliche Neuerungen. In der SPD geht es um das Erbe der Entspannun­gspolitik der 1970erJahr­e. Schon damals spielten ökonomisch­e Interessen eine Rolle. Die Idee vom Wandel durch Handel ist aber etwas anderes als die Liebediene­rei des Lobbyisten Gerhard Schröder.

Nach den USA reist Scholz nach Kiew und Moskau. Drei Chancen, Missverstä­ndnisse klarzustel­len. Er und die SPD haben sich in der Hartz-Politik von Schröder distanzier­t. Nun muss das auch in der Außenpolit­ik folgen. Das heißt nicht, dass mit Russland nicht verhandelt wird. Wohl aber, dass deutsche Politik nicht käuflich ist.

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