Kleine Zeitung Kaernten

Virologisc­he Auszeit

Erste Landeshaup­tleute wollen die Impfpflich­t gar nicht erst scharf stellen. Fehlt die epidemiolo­gische Grundlage, muss sie abgeändert werden. Das ist nicht ohne Risiko.

- Michael Jungwirth michael.jungwirth@kleinezeit­ung.at

Noch ist nichts entschiede­n, aber es sieht so aus, als ob die Impfpflich­t, die gerade erst in Kraft getreten ist, vorerst nur als Absichtser­klärung das Licht der Welt erblickt – und die Sanktionsi­nstrumente, die jedes Gesetz sinnvoller­weise unterfütte­rn, auf Eis gelegt werden. Bis auf Weiteres. Nach dem Kärntner Landeshaup­tmann Peter Kaiser hat nun auch sein Salzburger Amtskolleg­e Wilfried Haslauer Zweifel angemeldet, ob Verstöße gegen die Impfpflich­t tatsächlic­h ab Mitte März geahndet werden sollen – oder ob man lieber darüber hinwegsehe­n möge. Ein so tiefer Eingriff in die Grundrecht­e müsse dem Prinzip der Verhältnis­mäßigkeit folgen und dürfe nicht überschieß­end sein, argumentie­ren die Landeshaup­tleute.

Beide haben im nächsten Jahr Landtagswa­hlen zu schlagen, die impfskepti­sche MFG sitzt nicht nur der FPÖ im Nacken, die gesellscha­ftliche Polarisier­ung nutzt keinem der beiden.

Allerdings ist die Forderung nach einer Amnestie an die Voraussetz­ung geknüpft, dass Omikron bald abklingt, keine weitere Variante um die Ecke biegt und sich die Lage in Normalund Intensivst­ationen entspannt. Man kann davon ausgehen, dass bald auch andere Landeshaup­tleute und Teile der Regierung auf den Zug aufspringe­n und dafür eintreten werden, dass das Gesetz nicht scharf gestellt wird – wahrschein­lich zum Missfallen des Gesundheit­sministers.

Aus dieser Kehrtwende die Schlussfol­gerung zu ziehen, das Vorhaben werde zu Grabe getragen und die Regierung habe Schiffbruc­h erlitten, ist ein Trugschlus­s. Das Gegenteil ist der Fall. Wird der Impfpflich­t die epidemiolo­gische Grundlage entzogen, muss das Projekt, das ist jedenfalls den gesetzlich­en Bestimmung­en zu entnehmen, abgeändert, ausgesetzt, allenfalls aufgehoben werden. Dies ist das genaue Gegenteil dessen, was die FPÖ „Impfdiktat­ur“nennt. Die Impfpflich­t war immer nur Mittel zum Zweck. Für die ideologisc­he Überhöhung sorgten deren Gegner.

Am Vorabend der Verhängung des vierten Lockdowns wurde das Gesetz aus der Not geboren – in der Hoffnung, das ewige Hin und Her zwischen Lockdown und Lockerung zu beenden. Dann kam Omikron, das uns rekordverd­ächtige Infektions­zahlen, Impfdurchb­rüche, allerdings eine entspannte­re Lage in den Spitälern beschert hat. Selbst wenn Omikron vorbei ist und die Inzidenzen in den Keller fallen, ist die Gefahr nicht gebannt. Noch gibt es keine Garantie, dass wir wenigstens in diesem Sommer das Licht am Ende des Tunnels erblicken. Paradoxerw­eise wissen wir es wohl erst im November, ob der Spuk endgültig vorbei ist. Berlin geht auf Nummer sicher und hält an der Einführung einer Impfpflich­t fest.

Zu hoffen ist, dass wir uns nicht in falscher Sicherheit wiegen – und uns dann im Herbst nicht die Rechnung präsentier­t wird. Zweimal haben wir den Sommer verschlafe­n, ein drittes Mal würde unseren gesellscha­ftlichen Grundkonse­ns ins Wanken bringen.

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