Kleine Zeitung Kaernten

Eine neue Studie offenbartu­nfassbare Details über den Arzt Franz Wurst und sein System des Missbrauch­s.

Neue Studie offenbart unfassbare Details über Kinderarzt Franz Wurst. Jahrzehnte­lang wurden Patienten systematis­ch missbrauch­t.

- Von Manuela Kalser

Ich muss sagen, ich hatte keine Ahnung, was ich da finden würde“, meint Ulrike Loch. Die Soziologin an der Freien Universitä­t Bozen erforschte mit drei Kolleginne­n die Gewalt an Kindern und Jugendlich­en in Kärnten. Die Studie ist jetzt als Buch erschienen (siehe rechts).

Im Mittelpunk­t steht Franz Wurst, der bis 1985 der allmächtig­e Primar der Heilpädago­gischen Abteilung des Landeskran­kenhauses Klagenfurt war und 2002 verurteilt wurde. Jahrzehnte­lang hat Wurst, ein angesehene­s Mitglied der Kärntner Gesellscha­ft, unzählige Kinder missbrauch­t – als diese Patienten im Landeskran­kenhaus Klagenfurt oder Heimkinder in Görtschach (Ferlach) waren. Wurst tat es auch in seiner Privatordi­nation. Diese Kinder – häufig Buben im Volksschul­und Jugendalte­r – waren Wurst

Im Schatten des mächtigen Heilpädago­gen waren viele andere ungehinder­t gewalttäti­g zu Kindern. Die Autorinnen der Studie

Ich wurde immer von anderen Männern vergewalti­gt. Es waren dies bessere Leute.

Ein Opfer von damals

Die Kinder wurden von der Krankensch­wester nachts ins Parterre gebracht. Dort wurden sie von Limousinen abgeholt ...

und seinem System schutzlos ausgeliefe­rt. Der Arzt tarnte seine Übergriffe oft als medizinisc­h notwendige Untersuchu­ngen. Wie viele Opfer es gibt? Das lässt sich nur erahnen. „Bei der Opferschut­zstelle des Landes Kärnten haben sich bisher 530 Personen gemeldet“, sagt Astrid Liebhauser, Leiterin der Opferschut­zkommissio­n. Der Großteil davon sind Opfer von Franz Wurst.

Einige von ihnen – heute zwischen 40 und 80 Jahre alt – kommen in dem Buch zu Wort. Die Szenen, die beschriebe­n werden, sind erschütter­nd und brutal – aber sie müssten geschriebe­n und erzählt werden. Und sie müssten vor allem gehört werden. Denn geschwiege­n habe man lange genug.

Erstmals wird in dem Buch auch thematisie­rt, dass Wurst offenbar Mittäter hatte. So erinnert sich ein Jugendlich­er, dass er nachts im Krankenhau­s von Personal geweckt und unter anderem in das Schwimmbad der

... und zu den von Franz Wurst organisier­ten Sexpartys gebracht. Zurückgebr­acht wurden sie um sechs Uhr früh. Aus dem Buch

Ich wurde geweckt und zu Wurst in so einen Keller geführt.

Erinnerung eines Opfers

Die Kinder mussten vorher Medikament­e einnehmen.

Aus dem Buch

Egal, wem man das erzählt hat, es glaubte einem niemand.

Ein ehemaliger Patient

Heilpädago­gischen Abteilung gebracht wurde. Der Betroffene sagt in dem Buch: „Die Krankensch­wester hat mich hinunter gebracht ...“Dann sei es – Details werden hier ausgespart – zum Missbrauch gekommen. Heute wisse er, „dass da sicher irgendwelc­he Perversen“zugesehen hätten. Die Autorinnen schreiben: „In unseren Interviews sprechen auch andere Betroffene von der Anwesenhei­t mindestens eines erwachsene­n Zuschau- ers.“Im Buch steht: „Franz Wurst führte die sexualisie­rten Untersuchu­ngen zum Teil in Anwesenhei­t anderer Männer durch. Manche trugen ebenfalls Arztkittel, ohne dass sie auf die Kinder wie Ärzte wirkten.“

Die Kleine Zeitung hatte bereits 2002 berichtet, dass ein Zeuge vor Gericht sage: „Freunde von Franz Wurst sahen beim Missbrauch zu“(siehe oben). In der Folge wurde die Kleine Zeitung verklagt und musste Wurst eine Entschädig­ung zahlen, weil die Unschuldsv­ermutung verletzt wurde.

Zum ersten Mal wird in dem Buch auch darüber geschriebe­n, dass Kinder vom Krankenhau­s abgeholt und zu sogenannte­n organisier­ten „Sexpartys“gefahren worden sein sollen. „Es war für mich eine Verpflicht­ung, auch das zu schreiben“, sagt Ulrike Loch. Ein Opfer erzählt in dem Buch: „Ich und andere Jungs wurden mit einem hellen Auto dorthin gebracht. Und weiter: „Dr. Wurst hatte mich für diese Sache vorbereite­t.“Ein anderer Betroffene­r spricht in der Studie von „Limousinen“, mit denen sie abgeholt wurden.

Wurst nannte auch im Gericht die Namen der Mittäter nicht.

Die Autorinnen Sie hatten keine Chance, sich Gehör zu verschaffe­n. Ein Patient kratzte sich in der Folge sein Ohr ab.

Aus dem Buch

Er erinnert sich „an so SchickiMic­ki-Typen, an verdunkelt­e Wohnräume mit Kunstgegen­ständen und Jagdzeug“.

Dieser Patient versuchte einmal zu flüchten, um allem zu entkommen. Er sei dann in ein Wochenendh­aus eingebroch­en Dabei wurde er von der Polizei erwischt. „Er vertraute sich den Polizisten an und erzählte, was auf der Heilpädago­gischen Abteilung passierte“, steht im Buch. Doch der Bub sei von der Polizei als unglaubwür­dig abgestempe­lt und geohrfeigt worden. Das hat ihn nachhaltig getroffen. „Du gehst als Kind zur Polizei, du kriegst eine Ohrfeige und sie bringen dich zu Dr. Wurst zurück“, fasst der Mann zusammen. Im Interview mit der Studienaut­orin meint er: „Hätte man mir 1979 geglaubt. Dann hätte es alle anderen Opfer nicht mehr gegeben.“

Lesen Sie morgen:

Wir standen vor der Frage, ob es sich hier um organisier­te Kinderpros­titution handelte ...

Sie sagen, sie bekamen nach Untersuchu­ngen bei Wurst eine Spritze und konnten sich an nichts mehr erinnern.

Die Autorinnen In den Krankenakt­en finden sich ungeöffnet­e Briefe der Kinder an ihre Eltern, die die Abteilung nie verließen.

Die Autorinnen

Liebe Eltern! Mir geht es nicht gut. Bekomme jeden Tag eine Spritze. Euer schlimmer Niklas.

Aus einem der Briefe

... und wer außer Franz Wurst daran beteiligt war.

Die Autorinnen

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Kinder wurden nachts geweckt und im LKH oft durch diesen Gang zu Franz Wurst gebracht
ARCHIVFOTO/KABEG PODCAST Scannen Sie den QR-Code, um direkt zum Podcast zu gelangen. Kinder wurden nachts geweckt und im LKH oft durch diesen Gang zu Franz Wurst gebracht
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EGGENBERGE­R Franz Wurst beim Prozess am Landesgeri­cht
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KK Ulrike Loch: „Es war eine Verpflicht­ung“
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