Ein „gesunder“, aber unmöglicher Job
Gesundheitsminister zu sein ist ein zäher Job. Gerade deswegen kann man ihn nicht in Teilzeit erledigen. Nur wer sich auf langwierige Verhandlungen und unkommunizierbare Kompromisse einlässt, kann die Versorgung nachhaltig verbessern.
Bundeszielsteuerungsvertrag. Regionaler Strukturplan Gesundheit. Reihungskriterien-Verordnung. Sind Sie noch da? Noch sperriger als die Bezeichnungen für diese gesundheitspolitischen Reformwerke sind die Prozesse, die dahinter liegen: Zähe Verhandlungen mit den diversen Systempartnern, die in Stapeln von Papier oder juristischen Spitzfindigkeiten enden. Das ist halt Politik, könnte man sagen. Nicht jeder Prozess, so wichtig er für den Lauf der Republik auch sein mag, ist gut kommunizierbar.
Für den Gesundheitsminister kommen drei Dinge erschwerend hinzu: Es geht
diesem Politikfeld buchstäblich um Leben und Tod. Er hat geringe frei verfügbare Mittel im Budget. Und er hat es mit selbstbewussten Playern zu tun, die ihre Macht zu nutzen wissen.
Bleibt die Frage: Was kann der Gesundheitsminister überhaupt tun, um die immer evidenter werdenden Versorgungsprobleme zu lösen? Die grundlegende Krux im Gesundheitssystem ist, vereinfacht gesagt: Spitäler sind Ländersache, Arztordinationen das Hoheitsgebiet der Sozialversicherungen. Wenn es in einer Region zu wenige Kinderärzte gibt oder die Ambulanz des Spitals überfüllt ist, dann kann der Minister nicht einfach die Eröffnung einer Ordination anordnen oder das Spitalspersonal aufstocken – obwohl die Bevölkerung vielleicht genau das von ihm erwartet.
Gerade an den Tagesrandzeiten oder an den Wochenenden entstehen oft Versorgungslücken, die dazu führen, dass etwa Patienten mit kleineren gesundheitlichen Problemen, die gut in einer
Ordination versorgt werden könnten, im aufwendigen Spitalsapparat landen. Das ist für die Patienten mühsam und kostet das System sehr viel Geld.
Um solchen Problematiken vorzubeugen, wurde 2012/13 das Verwaltungsmonstrum „Bundeszielsteuerung“erfunden. Gesundheitspolitische Ziele wie eine Stärkung der Prävention, der weitere Rollout der Elektronischen Gesundheitsakte oder der Ausbau der tagesklinischen Versorgung werden im Rahmen der Zielsteuerung auf Bundesund Länderebene ausverhandelt und in Maßnahmen übersetzt. Dann werden sie in den Strukturplan Gesundheit gegossen, der festlegt, wer was wo wie anbieten muss. Ergebnis ist ein staubtrockener Fünfjahresplan, um den das Gesundheitsministerium hart mit Sozialversicherung und Ländern feilschen muss. Nicht gerade der Stoff, aus dem Ministerträume gemacht sind.
Hat der Minister einen spezifischen Wunsch an das Gesundheitssystem – wie
etwa jüngst den Ausbau der psychiatrischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen –, dann kann er das den Sozialversicherungen und Ländern nicht etwa verordnen, sondern er muss gut verhandeln und zusätzliches Geld lockermachen. Oder sich auf langwierige juristische Auseinandersetzungen einlassen. So konstatierte man etwa 2009 im Ministerium einen eklatanten Mangel an Kassen-Gynäkologinnen und schrieb in die für die Besetzung von Kassenstellen maßgebliche Reihungskriterien-Verordnung eine defacto-Quotenregelung für Frauen. Die Ärztekammer rebellierte. Erst sechs Jahre später entschied der Verfassungsgerichtshof im Sinne des Ministeriums.
Der ideale Gesundheitsminister muss also einen langen Atem und Freude am Kompromiss mitbringen. Und damit leben können, dass es für die Kommunikation großer Meilensteine deutlich mehr als ein, zwei Tweets braucht. Erschwerend kommt hinzu, dass nun schon mehrere Mi
nister mit einem personell geschwächten Ressort arbeiten. Zentrale Stellen in der Beamtenschaft waren oder sind vakant. Erst Anfang Juni kritisierte der Rechnungshof, dass die Rolle der Generaldirektorin für die öffentliche Gesundheit jahrelang nicht nachbesetzt wurde; dasselbe gilt für den Obersten Sanitätsrat, das höchste Beratungsgremium des Ministers.
Bei der jüngsten Regierungsumbildung hat man es einmal mehr verabsäumt, das Gesundheits- und das Sozialressort wieder zu trennen (oder zumindest mit einem Staatssekretär zu versehen). Gesundheitsminister zu sein ist kein Teilzeitjob. Und zwar nicht erst seit Ausbruch der Pandemie.