Gefangen im Strudel
Die schwarze Serie an Verwerfungen bringt die ÖVP in Dauerbedrängnis. Einzige Rettung: den Bunker zu verlassen und sich zum Anwalt verschärfter Gesetze zu machen.
Die Physik kennt das Phänomen des Strudels. Das ist jene Stelle, wo das Wasser eine kreisförmige Bewegung nach unten bildet und den, der in den Sog der Spirale gerät, mit sich reißt und auf den Grund zieht. Experten raten in solchen Fällen akuter Gefahr, sich dem Sog nicht zu widersetzen, sondern mit ganzer Kraft den Grund anzusteuern, wo die Kräfte der Physik am schwächsten sind, und sich dort zu befreien. Was das für Karl Nehammer und die ÖVP übersetzt heißt, lässt sich schwer sagen. Am ehesten könnte es heißen, von zappelnden Dementis abzulassen und auf die Dauerbedrängnis offensiv zu reagieren: Jene verschleppten Transparenz- und Parteiengesetze voranzutreiben, deren Lücken das mutmaßliche eigene Fehlverhalten begünstigten. Die Partei steht im Verdacht, den Versuchungen einer allzu langen Teilhabe an der Macht mehrfach erlegen zu sein.
Das ist jener Zustand, wo sich eine selbstgefährdende Empfindungslosigkeit einstellt, wo man sich „nichts mehr dabei denkt“und einen kein Instinkt mehr schützt. Danach roch es beim
Wirtschaftsbund in Vorarlberg, wo ein Inseratenblatt als Pumpstation für die Parteikassa herhielt, ebenso wie bei den Avataren des oberösterreichischen Seniorenbunds, dem eine Doppelexistenz zu zweifelhaften Corona-Geldern verhalf. ie Bilanz der Bundespartei für das Wahljahr 2019 fügt sich ins Bild. Die ÖVP sieht sich dem Verdacht mangelnder Redlichkeit ausgesetzt. Das ist für eine Partei der Wirtschaft und Kaufmanns-Ehr’ markenschädigend. Der Rechnungshof hegt Zweifel, was die ausgewiesenen Wahlkampfkosten betrifft, und heuerte einen eigenen Wirtschaftsprüfer an. Dass es so etwas noch nie gab, ist peinlich für die Volkspartei, offenbart aber auch die Fehlstellung im System: Die Parteien, die jährlich in den Genuss europaweit rekordverdächtiger Förderungen kommen, konnten
Dstets auf die eigenen Bilanzprüfer zurückgreifen. Dieses geschlossene Blackbox-System durch ein neues Parteiengesetz aufzubrechen ist überfällig. o es um öffentliche Gelder geht, die das Lebenselixier der Demokratie, den fairen Wettbewerb unter Parteien, sicherstellen, muss es auch eine öffentliche, unabhängige Kontrolle geben, die sicherstellt, dass die Spielregeln befolgt werden. Wer sie bricht, veruntreut die Idee des Wettstreits und das Geld, das die Idee finanziert. Das sollte ein strafrechtlicher Tatbestand sein. Verstöße gelten aber noch immer als lässliche Sünde, geahndet mit Pönalzahlungen, die nie wehtaten und auch keine Läuterung bewirkten. Schließlich stammt das Bußgeld vom Steuerzahler, während die Verantwortlichen in den Parteien unbehelligt blieben. Auch Karl Nehammer saß als Generalsekretär sehr nah am Feuer. Er soll den Neubeginn verkörpern und bleibt doch ein Gefangener der Vergangenheit. Die gleicht zunehmend jenem Strudel im aufgewühlten Wasser, der die Ringenden hinabzieht.
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