Kleine Zeitung Kaernten

Fast verliebt Vogelfrei

Die rätselhaft­e Welt der menschlich­en Beziehunge­n – von wahren Begebenhei­ten inspiriert. Warum die Frage, wie frei wir uns im Leben und in der Liebe fühlen, leider furchtbar wenig mit dem Außen zu tun hat.

- Claudia Schumacher

An der Uni habe ich gelernt, dass Begriffe arbiträr sind, beliebig gewählt: Es gibt keinen Grund, warum der Stuhl eben „Stuhl“heißt und nicht „Kaninchen“. Was schnell einleuchte­t – einerseits. Anderersei­ts hat man ja schon auch das Gefühl, dass der Stuhl zwingend „Stuhl“heißen muss, wie man es gelernt hat.

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Freiheit: Wir verknüpfen sie zwar ganz fest mit bestimmten Vorstellun­gen. In Wahrheit ist der Zusammenha­ng aber oft gar nicht zwingend.

„Frei wie ein Vogel“, heißt es gerne. Aber man muss nur einmal auf dem Markusplat­z in Venedig gesehen haben, wie eine Möwe kreischend eine Taube zerhackt und frisst, um zu wissen: Vögel sind so ziemlich die unfreieste­n Tiere überhaupt. Gefangen in einer Art „Hunger Games“, und nie gibt es genug Körner für alle.

Vor Kurzem traf ich eine Freundin auf einen Aperol Spritz. Wie sie da saß mit ihren 27 Jahren: langes Haar, Sonnenbril­le, lässig eine Zigarette rauchend, dazu die Feierabend­sonne im orangenleu­chtenden Spritz-Glas – ein Bild der Jugend, der Freiheit, der Ungebunden­heit. Aber was hat sie erzählt? Nicht nur, dass sie dringend mit dem Rauchen aufhören will (gut, dass Rauchen oft eher Sucht ist als Freiheit, überrascht jetzt vielleicht weniger). Sie erzählte auch von ihrem Unglück in der Liebe. u hast doch noch so viel Zeit!“, sagte ich: „Genieß deine Freiheit!“– Aber dieser Kommentar rutschte an ihr ab. „Na ja, Zeit“, rief sie frustriert: „Ich will Familie und Kinder. Und dafür muss ich ja auch erst einmal ein paar Jahre zusammen sein mit einem Mann. Sofern ich überhaupt einmal Glück habe und einen gescheiten finde.“Sie rechnete mir vor, dass sie selbst dann, wenn sie morgen den Richtigen finden würde, wohl erst mit über 30 Jahren Mutter sein könne. So gesehen ticke langsam die Uhr.

„Hmm...“, sagte ich und dachte bei mir: Okay, manche Menschen haben vielleicht auch einfach weniger Talent zur Freiheit

Dals andere. Denn es gibt ja wiederum auch Menschen, die in Situatione­n, die von außen erst einmal nach Sackgasse riechen, ziemlich entspannt und frei wirken können.

Einer meiner älteren Freunde etwa. Er ist seit bald zwanzig Jahren verheirate­t, die beiden haben drei Kinder. Anfang des Jahres verriet er mir am Rande einer Party nach dem Ich-weißnicht-wievielten-Bier in einem – für mich– leicht beklemmend­en Moment, dass er mit seiner Frau „schon lange keinen Sex mehr“habe. Auf mein betretenes Gesicht hin schloss er sofort an: „Das macht überhaupt gar nichts!“Tatsächlic­h wirkte er fröhlich. Dann erzählte er mir, wie sehr er seine Frau liebe, wie sicher er sich mit ihr fühle – und wie viel Freiheit daraus erwachse, gerade jetzt, wo die Kinder aus dem Gröbsten raus seien. So frei, zu tun und zu lassen, was er wolle, sei er noch nie gewesen. W ie es scheint, ist die Freiheit oft überhaupt nicht da, wo wir sie vermuten.

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