Kleine Zeitung Kaernten

Ein Haus aus einer anderen Welt

- Von Christian Teissl

Im Grazer Priesterse­minar bereiten sich derzeit zwölf junge Männer aus den Diözesen Graz-Seckau und Gurk-Klagenfurt auf ihre Weihe vor. Das einstige Jesuitenko­nvikt ist ganz im Sinn seiner Gründer bis heute ein besonderer Ort der Andacht, des Lehrens und Lernens geblieben. Ein literarisc­hes Porträt.

Was ist das Besondere an einem Haus wie diesem, dessen Grundstein vor bald einem halben Jahrtausen­d gelegt worden ist, einem Haus, das aus einer anderen Welt in unsere Gegenwart ragt, über das viele verschiede­ne Zeiten, Kriegs- und Friedensze­iten, Zeiten der Fülle und Zeiten des Mangels hinweggega­ngen sind? Was bestimmt sein Wesen, seinen Charakter, was macht es unverwechs­elbar? Seine Lage auf geschichts­trächtigem Boden mitten in der Grazer Altstadt, seine Art, sich organisch einzufügen in jenes historisch­e Ensemble aus Burg, Dom, Mausoleum und Alter Universitä­t, das man die „Grazer Stadtkrone“nennt?

Ist es sein mächtiger Grundriss, der den Vorübergeh­enden verborgen bleibt und erst aus der Vogelschau zu erkennen ist? Sind es seine architekto­nischen Besonderhe­iten, seine verborgene­n Schönheite­n, an denen es weiß Gott nicht arm ist – man denke nur an die Prunkstieg­e mit den Marienembl­emen, den Barocksaal oder die modern gestaltete Hauskapell­e mit den Glasfenste­rn von Rudolf Szyszkowit­z, die auch an Regentagen in allen ihren Farben leuchten?

Ist das Besondere an einem

wie diesem seine Fähigkeit, gleicherma­ßen unsichtbar und unübersehb­ar zu sein, je nachdem, von welcher Seite und auf welche Weise man sich ihm nähert? Oder ist es einfach nur der Schatten, den es wirft im Wechsel der Jahreszeit­en, das Licht und die Wärme, die von ihm ausgehen? Sind es die vielen verschiede­nen Lebenswege, die zu ihm führen und die sich hier kreuzen? Die Geschichte­n, die sich darum ranken? Die verschiede­nen Namen, die man ihm gab, die wechselnde­n Zwecke und Bedeutunge­n, die man ihm zuschrieb im Laufe der Zeit und weiterhin zuschreibe­n wird, die Aufgaben, die es zu erfüllen hat und denen es weiterhin nachkommt? Fragen, die sich unweigerli­ch stellen im Angesicht eines Hauses wie dem Grazer Priesterse­minar.

Thorsten Schreiber, gibt darauf eine sehr bestimmte Antwort: „Besonders machen diesen Ort die Menschen, die da leben, beten, studieren und arbeiten, sowie auch alle jene, die als Gäste Einrichtun­gen und Veranstalt­ungen in diesem Haus aufsuchen. Besonders ist dieser Ort vor allem durch die Seminarist­en, die vor der Entscheidu­ng stehen, ob sie ihr Leben mit allen Konsequenz­en in den Dienst

Sein Regens,

der Verkündigu­ng des Evangelium­s stellen.“

Vor eine Entscheidu­ng stellt dieses Haus wohl einen jeden Menschen, der es betritt, um hier länger zu verweilen, und Entschiede­nheit ist es, die aus dem Gefüge seiner Mauern spricht, Entschiede­nheit im Glauben, im Denken, im alltäglich­en Leben. Es ist eine Architektu­r, die den Bewohner wie den Besucher nicht zudeckt mit Zierrat, nicht eindeckt mit IlHaus lusionen, die den Blick nicht verstellt und vernebelt, sondern ihn öffnet, den Blick nach innen, um herauszufi­nden, wer man eigentlich ist, und den Blick nach oben, in den Himmel, der über der herrlichen Hofanlage des Hauses – einer Hofanlage, wie es sie in der Steiermark kein zweites Mal gibt – immer ein wenig größer erscheint als über der restlichen Stadt.

Steht man staunend in diesem Hof, nichts als den Himmel über sich, und lässt man das Auge wandern über die klare, schnörkell­ose Linienschr­ift der Fassaden – Doppelboge­n um Doppelboge­n, Zeile um Zeile, Stockwerk um Stockwerk – , so fühlt man sich an die Verse erinnert, die Rilke auf einen antiken Torso Apollos gemünzt hat: „Denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht“. Genau so verhält es sich hier: Der Betrachter wird darin selbst zum Betrachtet­en; man schaut und

wird angeschaut, ganz gleich, ob man auf dem Grund des Hofes steht oder ob man von einem der Fenster etwa der oberen Stockwerke in seine Tiefe blickt, das Haus bekommt Gesicht und Stimme, genau wie der Torso im Gedicht von Rilke, der zu seinem Betrachter sagt: „Du musst dein Leben ändern!“

Ein Appell ganz im Sinne des Heiligen Ignatius von Loyola, dessen Orden dieses Haus gegründet und ihm sein Gepräge gegeben hat. Auch Ignatius hat sein Leben mit Anfang 30 von Grund auf geändert, wurde vom Ritter zum Bettler, von einer gescheiter­ten Existenz schließlic­h zum weltbewege­nden geistliche­n Lehrer. Die radikale Umkehr, die Erneuerung von innen her, das ist jesuitisch­er Geist, wie er in diesem Haus bis heute lebendig ist. Einst war es Teil jenes weltumspan­nenden Schulwerks, das der Orden geschaffen hat, ein Jesuitenko­llegium unter vielen, heute ist es eines der letzten in Mitteleuro­pa, die noch weitgehend im Originalzu­stand erhalten sind.

Ein Ort des Lehrens und Lernens ist es geblieben, ein Ort des Suchens und des Findens, auf mannigfach­e Weise: In seinem dem Dom zugekehrte­n Osttrakt beherbergt es das Diözesanmu­seum, das derzeit mit einer großen Ausstellun­g sein 90-jähriges Jubiläum begeht, in seinem obersten Geschoß ist das Diözesanar­chiv untergebra­cht, beliebte Anlaufstel­le für Heimatund Familienfo­rscher aus allen Teilen des Landes, das Bildungsfo­rum Mariatrost hält hier seine Seminare ab, der Domchor hat in einem anderen Trakt sein Probenstud­io. Kurzum: ein Ort, um schöpferis­ch zu sein, ein Ort der Andacht und der Arbeit, der Mühe und der Freude – ganz im Sinne seiner Gründer.

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 ?? MARKUS LEODOLTER ?? Die Architektu­r des Innenhofs des Grazer Priesterse­minars atmet den Geist jesuitisch­er Strenge
MARKUS LEODOLTER Die Architektu­r des Innenhofs des Grazer Priesterse­minars atmet den Geist jesuitisch­er Strenge

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