Tag der offenen EU-Tür für die Ukraine
ANALYSE. In zwei Tagen wird die EU-Kommission eine Tür für die Ukraine öffnen. Was danach kommt, ist noch völlig offen.
Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj sollte nicht einmal per Video im österreichischen Parlament sprechen dürfen, weil sich die FPÖ querlegte. Nun kam stattdessen, in imposanter Größe, der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk persönlich nach Wien, so wie er letzte Woche auch schon im EU-Parlament in Straßburg gewesen war – dort in olivgrüner Armeemontur, hier in Anzug und Krawatte. Seine Botschaft war in beiden Fällen klar und deutlich: Die Ukraine verteidige nicht nur sich selbst, sondern das gesamte zivilisierte Europa vor den imperialistischen Angriffen Russlands.
Stefantschuk dankte für die bisherige Unterstützung, kam auf die enge Verbundenheit Österreichs und der Ukraine zu sprechen und deponierte einen Wunsch – den Wunsch – an Europa: sein Land umgehend in den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu versetzen.
Übermorgen Freitag wird die Kommission das Ergebnis ihrer diesbezüglichen Überprüfung veröffentlichen. Es wäre eine Sensation (und eine fürchterliche Blamage für Ursula von der Leyen), würde es nicht auf eine Empfehlung für den Kandidatenstatus hinauslaufen. Die Präsidentin reiste dieser Tage eigens nach Kiew, um mit Selenskyj offene Fragen zu klären.
Doch offene Fragen tauchen nun umso mehr auf. Als sicher gilt lediglich, dass sich die Staats- und Regierungschefs bei ihrem regulären Sommergipfel kommende Woche mit der Kandidatenfrage beschäftigen werden. Ein Beschluss müsste einstimmig erfolgen und noch ist das nicht in Sicht; zwar ist die Solidarität mit der Ukraine quer durch die EU ungebrochen, aber manchen geht es mit dem Kandidatenstatus viel zu schnell. Etwa den Niederlanden: Man dürfe die klaren Richtlinien für eine Aufnahme nicht einfach so verwässern, sagte Außenminister Wopke Hoekstra kürzlich gegenüber österreichischen Journalisten.
In Österreich gibt man sich ebenfalls zurückhaltend und verknüpft das Thema fest mit den beitrittswilligen Westbalkanstaaten, die schon viel länger in der Warteschleife verharren. Das sieht man auch in Brüssel so: Unmittelbar vor dem EUGipfel hat Ratspräsident Charles Michel einen eigenen Westbalkan-Gipfel angesetzt. abei geht es im Augenblick gar nicht um einen EUBeitritt der Ukraine, es geht um ein starkes politisches Signal. Allen Beteiligten ist klar, dass ein Beitrittsverfahren mehrere Jahre dauern würde; der französische Präsident und amtierende EU-Ratsvorsitzende Emmanuel Macron spricht gar
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von „Jahrzehnten“. Deshalb wird nun über eine Zwischenlösung diskutiert, die Österreich in Form eines „Non Papers“in Brüssel platziert hat. Grundidee: Eine schrittweise Annäherung in jenen Bereichen, die möglich sind und damit eine Überbrückung der Zeit bis zum tatsächlichen Beitritt. Denn so viel ist klar: Der Kandidatenstatus allein hat vorerst keine weiteren Konsequenzen.
Gegen die schrittweise Annäherung spricht, dass die Ukraine etwas Handfestes braucht – und die Sorge, dass Staaten, bei denen das „Zwischenlager“funktioniert, auf ewig im Ungewissen gefangen bleiben könnten. In einer Rückwirkung auf die be
stehende EU könnte das später zur „EU der zwei Geschwindigkeiten“führen – die Reichen im Norden und Westen, die Armen im Osten. Neben der Ukraine ist auch Moldau auf der Liste, dies aber mit zusätzlichen Auflagen. Noch nicht so weit, aber auf dem Sprung ist Georgien. Keines dieser Länder will in einen unwürdigen Wettstreit mit der Ukraine treten müssen, wer das stärkere Anrecht auf die EU hat. as wird also passieren? Die Kommission gibt am Freitag Grünes Licht – und der Gipfel nächste Woche wird schwer unter Druck sein, der Ukraine den Status und damit eine reale Zukunftsperspektive zu gewähren.
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