Kleine Zeitung Kaernten

Tag der offenen EU-Tür für die Ukraine

ANALYSE. In zwei Tagen wird die EU-Kommission eine Tür für die Ukraine öffnen. Was danach kommt, ist noch völlig offen.

- Von unserem Korrespond­enten Andreas Lieb aus Brüssel

Staatspräs­ident Wolodymyr Selenskyj sollte nicht einmal per Video im österreich­ischen Parlament sprechen dürfen, weil sich die FPÖ querlegte. Nun kam stattdesse­n, in imposanter Größe, der ukrainisch­e Parlaments­präsident Ruslan Stefantsch­uk persönlich nach Wien, so wie er letzte Woche auch schon im EU-Parlament in Straßburg gewesen war – dort in olivgrüner Armeemontu­r, hier in Anzug und Krawatte. Seine Botschaft war in beiden Fällen klar und deutlich: Die Ukraine verteidige nicht nur sich selbst, sondern das gesamte zivilisier­te Europa vor den imperialis­tischen Angriffen Russlands.

Stefantsch­uk dankte für die bisherige Unterstütz­ung, kam auf die enge Verbundenh­eit Österreich­s und der Ukraine zu sprechen und deponierte einen Wunsch – den Wunsch – an Europa: sein Land umgehend in den Status eines EU-Beitrittsk­andidaten zu versetzen.

Übermorgen Freitag wird die Kommission das Ergebnis ihrer diesbezügl­ichen Überprüfun­g veröffentl­ichen. Es wäre eine Sensation (und eine fürchterli­che Blamage für Ursula von der Leyen), würde es nicht auf eine Empfehlung für den Kandidaten­status hinauslauf­en. Die Präsidenti­n reiste dieser Tage eigens nach Kiew, um mit Selenskyj offene Fragen zu klären.

Doch offene Fragen tauchen nun umso mehr auf. Als sicher gilt lediglich, dass sich die Staats- und Regierungs­chefs bei ihrem regulären Sommergipf­el kommende Woche mit der Kandidaten­frage beschäftig­en werden. Ein Beschluss müsste einstimmig erfolgen und noch ist das nicht in Sicht; zwar ist die Solidaritä­t mit der Ukraine quer durch die EU ungebroche­n, aber manchen geht es mit dem Kandidaten­status viel zu schnell. Etwa den Niederland­en: Man dürfe die klaren Richtlinie­n für eine Aufnahme nicht einfach so verwässern, sagte Außenminis­ter Wopke Hoekstra kürzlich gegenüber österreich­ischen Journalist­en.

In Österreich gibt man sich ebenfalls zurückhalt­end und verknüpft das Thema fest mit den beitrittsw­illigen Westbalkan­staaten, die schon viel länger in der Warteschle­ife verharren. Das sieht man auch in Brüssel so: Unmittelba­r vor dem EUGipfel hat Ratspräsid­ent Charles Michel einen eigenen Westbalkan-Gipfel angesetzt. abei geht es im Augenblick gar nicht um einen EUBeitritt der Ukraine, es geht um ein starkes politische­s Signal. Allen Beteiligte­n ist klar, dass ein Beitrittsv­erfahren mehrere Jahre dauern würde; der französisc­he Präsident und amtierende EU-Ratsvorsit­zende Emmanuel Macron spricht gar

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von „Jahrzehnte­n“. Deshalb wird nun über eine Zwischenlö­sung diskutiert, die Österreich in Form eines „Non Papers“in Brüssel platziert hat. Grundidee: Eine schrittwei­se Annäherung in jenen Bereichen, die möglich sind und damit eine Überbrücku­ng der Zeit bis zum tatsächlic­hen Beitritt. Denn so viel ist klar: Der Kandidaten­status allein hat vorerst keine weiteren Konsequenz­en.

Gegen die schrittwei­se Annäherung spricht, dass die Ukraine etwas Handfestes braucht – und die Sorge, dass Staaten, bei denen das „Zwischenla­ger“funktionie­rt, auf ewig im Ungewissen gefangen bleiben könnten. In einer Rückwirkun­g auf die be

stehende EU könnte das später zur „EU der zwei Geschwindi­gkeiten“führen – die Reichen im Norden und Westen, die Armen im Osten. Neben der Ukraine ist auch Moldau auf der Liste, dies aber mit zusätzlich­en Auflagen. Noch nicht so weit, aber auf dem Sprung ist Georgien. Keines dieser Länder will in einen unwürdigen Wettstreit mit der Ukraine treten müssen, wer das stärkere Anrecht auf die EU hat. as wird also passieren? Die Kommission gibt am Freitag Grünes Licht – und der Gipfel nächste Woche wird schwer unter Druck sein, der Ukraine den Status und damit eine reale Zukunftspe­rspektive zu gewähren.

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Ruslan Stefantsch­uk hielt vor Beginn der Nationalra­tssitzung eine Rede an das Parlament
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WAS GEHT? QR-Code scannen und die neue „Was geht?“-Folge zu 111 Tage Krieg in der Ukraine anschauen.
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AP Die Spuren der Kämpfe in Sjewjerodo­nezk
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APA Sobotka und Stefantsch­uk

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