INTERVIEW.
Die türkis-grüne Koalition hat ein Paket gegen die Teuerung vorgelegt. Ob es das letzte sein wird, kann Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) nicht sagen; „es kann jeden Moment eine Granate in eine Gasleitung einschlagen“.
Herr Bundeskanzler, wann ist jemand für Sie wohlhabend? KARL NEHAMMER: Grundsätzlich orientieren wir uns bei unseren Hilfsmaßnahmen am Medianeinkommen – aber auch daran, möglichst geringen Aufwand bei der Abwicklung zu verursachen. Zum Beispiel haben wir uns gefragt, auf welche Systematik können wir aufsetzen? Wer jetzt Familienbeihilfe bezieht, bekommt im August 180 Euro mehr, wer jetzt den Familienbonus erhält, erhält den erhöhten Betrag.
Überfördern Sie damit nicht Leute, die es sich leisten könnten, die Teuerung selbst abzufedern? Ist es wirklich Aufgabe des Staates, alle davor zu schützen?
Das ist eine philosophische Frage.
Eine politische.
Die Teuerung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und für viele spürbar. Dort muss ich also auch ansetzen, wenn ich als Staat das Ziel habe, das Konsumverhalten weiter auf hohem Niveau zu halten, um dadurch Massensteuern als Einnahmequelle gesichert zu wissen für die Gegenfinanzierung all dieser Maßnahmen. Deswegen ist es angebracht, dass man breiter fördert – aber wir haben starken Fokus auf einkommensschwächere Gruppen gelegt.
Sie sagen: Der Staat gibt Geld aus, damit die Leute weiter konsumieren, damit der Staat wieder genug Einnahmen hat, um Geld zu verteilen. Ist das nicht der Abschied von ÖVP-Prinzipien wie Eigenverantwortung und Leistung?
Das ist eine total berechtigte Frage, sie ist nur aus der aktuellen Logik nicht eindeutig politisch zu beantworten. Die Pandemie war ein gravierender Einschnitt und hat dazu geführt, dass es ohne staatliche Hilfe unglaubliche Verwerfungen gegeben hätte. Jetzt haben wir eine noch größere Krise, durch einen Krieg in Europa, durch Inflation, durch Steigerung der Energiekosten ungeahnten Ausmaßes. Deshalb braucht es wieder Maßnahmen.
Kommen wir aus diesem Zyklus jemals wieder heraus?
Ich glaube ja, aber erst, wenn sich nicht eine Krise an die nächste reiht. Wir sehen jetzt schon wieder steigende Infektionszahlen, wir haben einen Invasionskrieg auf europäischem Boden und es droht nach wie vor ein Dritter Weltkrieg. Wir haben Probleme bei der Ernährungssicherheit für große Teile der Welt, was wieder zu einer Destabilisierung Nordafrikas und auch Europas durch irreguläre Migration führen kann. Man wird gar nicht fertig, die Bedrohungsszenarien an sich aufzuzählen, daher ist es jetzt nicht der Zeitpunkt daran zu zweifeln, dass wir den Menschen in dieser wirtschaftlichen Situation helfen.
Lebensmittelpreise deckeln? Es gibt keine Denkverbote, nur die Frage, was wirkt und was heben wir für einen späteren Zeitpunkt auf.
Eine Sorge ist, dass die Stimmung im Land kippt, wenn die Teuerung noch stärker durchschlägt. Besteht nicht die Gefahr, dass Ihr über Monate gestaffeltes Paket schnell wieder verpufft?
Nein, dazu gibt es ja die direkten Auszahlungen: Klimabonus plus Geld-zurück-Bonus sind für zwei Personen mit einem Kind 1250 Euro. Das ist schon echtes Geld. Und es wird direkt überwiesen. Diese Maßnahmen sind dann schnell spürbar. Man muss keinen Antrag stellen. Dazu kommen erhöhte Familienbeihilfe, 500 Euro Familienbonus mehr, Geld für sozial schwache Gruppen, zusätzlich zu vier Milliarden Euro, die in diesem Jahr schon geleistet wurden – Energiebonus, Aussetzung der Ökostrom-Pauschale, ausgesetzte Energieabgabe. Stimmt, es ist keine spektakuläre Summe auf einmal, aber die Summe ist hoch. Bis zu 3000 Euro für eine Familie mit zwei Kindern.
Es wird sehr stark an der Kommunikation der Maßnahmen liegen. Die Zapfsäule wird da immer der stärkere Eindruck sein, denn die sehe ich drei, vier Mal im Monat. Die Entlastungen sind viel schwieriger wahrzunehmen. Es ist eine Frage, wie man Hilfen umsetzt. Manche Länder haben sich stattdessen entschlossen, Massensteuern zu senken – zum Beispiel bei der Mineralölsteuer in Deutschland. Das hat sich dort nicht bewährt, der Benzinpreis ist so hoch wie zuvor, es wurden Milliarden an Steuergeld verbrannt, da gibt es dann eine Doppel-Frustration. Andere Länder versuchen es mit Preisdeckeln, mit der Folge, dass es enorm budgetbelastend ist, denn ich muss die Differenz der Mineralölfirmen bezahlen,